Mittags brechen wir in Schwerin auf. Bodo, Erika und
Walter sind bereits am Vortag eingetroffen, Thomas ist schon unterwegs mit dem
Fahrrad durch Mecklenburg-Vorpommern nach Swinoujcie. Unser VW-Bus ist proppenvoll:
Erika und Bodo, Ingrid und Dieter, natürlich Walter, der den Bus nun drei
Wochen lang fahren wird, und das viele Gepäck. Es ist nicht mehr
nachvollziehbar, wie die Beschränkung auf Fahrradtaschen beim ersten Grenzlauf
funktionieren konnte.
Auf Usedom angekommen, machen wir in Zinnnowitz Rast. Wir
befestigen das von Thomas gestaltete Transparent mit dem dreisprachigen EU -
Willkommensgruß auf der Motorhaube, denn schließlich wollen wir unser Vorhaben
bereits an der Grenze demonstrieren. Die Sondergenehmigung, die Fußgängergrenze
bei Ahlbeck auch mit dem Auto passieren zu können, haben wir natürlich bei uns.
So klappt die Grenzdurchfahrt auch ohne Schwierigkeiten.
Im Hotel Iskra beziehen wir Quartier. Thomas ist bereits
angekommen, er radelte mit seiner Ingrid von Güstrow bis hierher, um Land und
Leute kennenzulernen. Bei Sonne und kräftiger Brise geht’s an den Strand und
vorbei an unzähligen Verkaufsständen auf der Promenade zum Abendessen. Gründe
zum Anstoßen gibt es zwei: auf das Gelingen des Grenzlaufs natürlich, aber auch
auf den Sechzigsten der Ingrid, die mit Thomas das Leben teilt.
Das Feiern hält sich angesichts der vor uns liegenden
Herausforderung in Grenzen. Außerdem steht noch die abendliche Besprechung für
den nächsten Tag bevor, ohne die in den nächsten drei Wochen kein Tag zu Ende
gehen wird.
Montag, 13. September: Beeindruckender Start
Swinoujscie – Ueckermünde,
55 km (Gesamt: 55 km)
Das Aufwachen ist anders als sonst. Freudige Erwartung, daß
die Tour nach langer Vorbereitung nun endlich beginnt, aber auch ein bißchen
Angst vor der eigenen Courage: zurück geht’s nicht mehr und vor uns liegt
alles. Für langes Grübeln aber ist glücklicherweise keine Zeit. Auf dem Weg zum
Frühstück wartet bereits Lidia Miecznik an der Rezeption, um uns zu begrüßen
und zu informieren, wie es weiter geht. Frau Miecznik war lange in Hamburg,
spricht gut deutsch und hat Übernachtung und Start organisiert. Wenige Meter
vom Hotel entfernt können wir uns bald davon überzeugen. Dort, wo eine Woche zuvor
der traditionelle Usedom-Marathon gestartet wurde, hängt wieder das
Starttransparent, Fahnen der EU, Polens und Deutschlands wehen, die
Lautsprecheranlage wartet auf die Grußworte von Bürgermeister Janusz
Smurkiewicz, von Stadtpräsident Stanislaw Bartkowiak, vom Sportchef. Zu uns
gesellen sich Läufer vom Jogging-Klub Biegacza, die Ahlbecker Läuferin Sabine,
viele Kinder. Presse ist da, das Fernsehen und der Rundfunk. Reihum werden
Interviews gegeben, Musik spielt auf, Reden werden gehalten, auch wir nehmen
das Mikrofon, um über die Absicht unseres Laufs zu sprechen. Wie oft haben wir
schon am Start gestanden, wie sehr gleicht unser Start dem großer Läufe und wie
unterschiedlich ist er doch, denn der Aufwand wird nur unseretwegen betrieben!
Wegen dieses großen Bahnhofs verzögert sich der Start
natürlich. Mit Bodo und Dieter laufen die Swinemünder Kinder bis zur Grenze.
Bald hinter der Grenze auf dem Weg nach Korswandt kommt die erste anhaltende
Steigung, sie ringt uns im Nachhinein aus Erfahrung des Erzgebirges ein müdes
Lächeln ab, aber schwitzen mußten wir schon und die Radfahrer bleiben zum
erstem mal zurück. In Zirchow verabschieden wir uns herzlich von den polnischen
Läufern um Pawel Dodek, während Sabine uns weiter treu bleibt.
In Neverow sehen wir das erste Mal das Oderhaff, in weiter
Ferne das andere Ufer, das wir heute auch noch unter unsere Füße nehmen werden.
Zunächst aber müssen wir über Dargen, Stolpe, Usedom nach Karnin, wo
Sabine von ihrem Freund abgeholt
wird. Für uns aber heißt es, die Fahrräder aufzuladen, denn die Fähre hat
Ruhetag. Über Anklam geht es mit dem Bus bis Bugewitz. Auf der Autofahrt muß sich Bodo
wegen Knieproblemen schweren Herzens entscheiden, mit Erika die Rollen zu
tauschen. Erika, die die eine oder andere Etappe mitlaufen wollte, kommt dazu
eher als gedacht. Bei seiner Fahrradtour bis Mönkebude allerdings kommt
bei Bodo auch nicht die rechte
Freude auf, denn bei seiner Länge war die Satteleinstellung viel zu niedrig.
In seinem Wohnort Mönkebude erwartet uns Gerhard Goetz
gemeinsam mit Reiner Dorgerloh aus Torgelow, der extra mit dem Zug angereist
war, um mit uns ein Stück zu laufen. Auf den letzten Kilometern haben wir eine
gemeinsame Strecke mit dem Haffmarathon, der jedes Jahr im März vor den Toren
Ueckermündes gestartet wird.
Auf dem Marktplatz steht der Nordkurier zum Interview
bereit. Nach einem Plausch mit Simone Weirauch von der schreibenden Zunft und
unseren Mitläufern steigen wir in den Bus, um zur Unterkunft in die
Jugendherberge Bellin zu fahren.
Dienstag, 14. September: Grenzprobleme
Ueckermünde – Szczecin,
54 km (Gesamt. 109 km)
Auf dem Marktplatz verabschiedet uns der stellvertretende
Bürgermeister. Eine Radfahrergruppe ebenfalls älteren Semesters sucht das Gespräch
mit uns: woher, wohin, wieso? Staunen steht auf ihren Gesichtern geschrieben.
Sie laufen auch auf dem Oder-Neisse-Radweg? Da kommen wir her. Phantastisch!
Zurück laufen wir wieder bis zur Jugendherberge und biegen
nach Luckow ab. Mitten in dem herrlichen Wald hört Dieter ein deutliches „Au“
hinter sich. Bodo hat eine Zerrung erwischt. Aber Erika ist ja da, und wieder
wird gewechselt. Einsam, beruhigend und schön ist die Landschaft der
Ueckermünder Heide, die zum großen Teil militärisch genutzt wird. Ab Ludwigshof
bewegen wir uns auf dem Damm der ehemaligen Randower Kleinbahn, die einst von
Neuwarp (Nowe Warpno) am Stettiner Haff nach Stöven bei Stettin führte. Heute
verläuft auf ihr der Oder-Neisse-Radweg, ein herrliches Wegstück mit
Holzskulpturen am Wegesrand.
Irgendwann aber wollen wir über die Grenze nach Szczecin.
Der erste Übergang bei Riether-Neuhaus, auf unserer älteren Karte als geplant
ausgewiesen, ist offensichtlich immer noch nur Planung. Der nächste ist unsere
Hoffnung, die man uns aber schon in der Jugendherberge schmälerte. Walter fährt
deshalb schon mal voraus nach Blankensee, wo die Karte einen Fußgängerübergang
nennt. Er telefoniert uns grünes Licht, er hatte mit BGS-Beamten gesprochen.
Angekommen an der Grenze stehen zwei BGS-Fahrzeuge. Die Insassen hatten
inzwischen mit der vorgesetzten Dienststelle gesprochen, und die sagte „Nein“.
Nur für Berufspendler würde die Grenze geöffnet. Aber schließlich gäbe es ja 8
km südlich den großen Übergang bei Linken. Sie fahren voraus und zeigen uns den
Weg unmittelbar am Grenzzaun entlang. Sand und Hügel gestalteten die Strecke
zum Cross, und links neben uns her schwarz-rot-goldene Grenzpfähle, Zaun,
gepflügter Grenzstreifen, Zaun und polnische Grenzpfähle. Hier hat die EU -
Erweiterung noch nicht stattgefunden.
In Linken haben wir uns tüchtig verspätet. 54 km sind es
dank des Umwegs schon geworden. 15 km würden es noch sein bis zum Ziel. Wir
steigen in den Bus. In Szczecin sind wir froh über unsere Entscheidung. In der
Riesenstadt irren wir selbst mit dem Bus umher, einen Markt, den wir als
Zielpunkt suchen, gäbe es nicht, versichern uns Stettiner. Schließlich chartern
wir ein Taxi für die Vorausfahrt zum Leichtathletikstadion, wo uns Übernachtung
zugesichert worden war. Dort aber weiß man von nichts, man hätte auch nur vier
Betten. Wir bitten den Taxifahrer, uns zu einem Hotel zu leiten, was er auch
gern für ein paar Zloty tut. Das Hotel am Stadtrand war vermutlich ein
ehemaliges Büro- oder Internatsgebäude, die Zimmer aber bestens saniert. Nur
einen Fahrstuhl gibt es nicht. Also müssen wir dem Rat der Rezeption folgen und
die Fahrräder aus Sicherheitsgründen mit in die 3. Etage schleppen.
Beim Abendbrot lernen wir Leute aus Bayern kennen. Nein,
Touristen seien sie nicht, auch nicht dienstlich unterwegs, aber um die
Fahrschule zu machen, die hier wesentlich preiswerter ist und ohne größere
Nachfragen absolviert werden kann.
Mittwoch, 15. September: Im unteren Odertal
Szczecin – Schwedt, 41 km (Gesamt: 150 km)
Wir haben noch zu gut das Stettiner Straßenlabyrinth und vor
allem den starken Autoverkehr bis zur Grenze in Erinnerung, als daß wir große
Neigung hätten, dort zu laufen. Lang wird die Strecke sowieso, die beste
Erfahrung mit Stettiner Gastfreundschaft haben wir nicht machen können, also
fahren wir zum Grenzübergang Rosow und starten dort. Erika wird zum ersten Mal
die ganze Etappe laufen. Die Sonne scheint, aber es bläst uns ein scharfer Wind
entgegen, der uns besonders zu schaffen macht, weil es durch baum- und
strauchlose Landschaft bergauf geht. Hinter Tantow und Freudenfeld hilft uns
die Vegetation dann doch vor dem Wind.
Wir erreichen Gartz, halten eine Weile Ausschau nach Walter
und seinem VW und erreichen zum ersten Mal die Oder, die uns mit ihren
imposanten Flußauen auf den kommenden Etappen immer wieder Begleiter sein wird.
Dann aber ist es wieder vorbei mit dem Windschutz. Auf dem Oderdamm führt uns
der Weg nach Schwedt direkt nach Süden, aber genau von dort kommt der Wind, den
wir auf Stärke 8 schätzen (das bestätigt uns übrigens der Wetterbericht am
Abend). Wir sind deshalb froh, als uns ein Schild bei Friedrichsthal einen Weg
durch den Wald weist.
Der Wind ist weg, aber das Gestrüpp nimmt zu. Irgendwie
gelingt es uns, einen großen Bogen um Gatow über Vierraden zu schlagen, um zum
Treff an der Gatower Kanalbrücke zu gelangen, wo wir die Laufgruppe der
Schwedter Hasen um Dietrich Lüthke erwarten. Mit ihnen laufen wir sehr
gesprächig die letzten 8 km bis zum Ziel. Am Damm wühlen Bagger im Erdreich des
Deichs nach blinder Munition aus dem letzten Krieg. Vor uns erblicken wir in
der Ferne eine geschwenkte Fahne. Sie gehört zu einer weiteren Gruppe von
kleinen und großen Läufern. Ein richtiger Troß ist gewachsen, der sich auf
Schwedt zu bewegt. Nur wenige hundert Meter sind es von der Kanalbrücke am
Schwedter Theater vorbei zum Berlischky-Pavillon an der groß angelegten
Allee, die in ihrer Breite die alte
Stalinallee von Berlin in den Schatten stellt. Bürgermeister Peter Schauer empfängt
uns, muntere Gespräche und Imbiß in der ehemaligen Kirche, doch der Zeitfonds
ist begrenzt. Wir werden begleitet zum Gemeinschaftsquartier im Waldbadgelände
am Rande der Stadt, können gerade noch unsere Sachen unterbringen, da wartet
schon Stadtführer Willi Magnus mit Kleinbus auf uns, um mit uns zum Kleinod der
Region zu fahren: zum Nationalparkhaus Criewen, das uns und den unzähligen
Touristen auf dem Oder - Neisse - Radweg die einmalig erhaltene Landschaft des
Nationalparks Unteres Odertal anschaulich demonstriert. Auf dem Rückweg zeigt uns
Magnus seine Stadt, von der der 2. Weltkrieg nur 15 Prozent der Gebäude und 26
nicht geflüchtete Einwohner übrig ließ und die heute mit Mineralölverarbeitung
und Papierindustrie wirtschaftliches Zentrum der Uckermark ist.
Wenig Zeit bleibt für das Abendbrot, denn es warten schon
Sportfreunde zum lebhaften abendlichen
Gespräch im Vereinslokal von Rotation Schwedt, an dem sich auch der Präsident
des Landessportbundes Brandenburg Hans-Dieter Fiebig und natürlich auch
Dietrich Lüthke mit seinen Hasen beteiligt. Die Streckenbesprechung für den
nächsten Tag ist entsprechend spät.
Schwedt – Cedynia, 31 km (Gesamt:181 km)
Heute werden wir zum ersten Mal weniger als Marathon laufen.
Wir beginnen den Tag deshalb recht
zuversichtlich, auch wenn uns die ersten Anstiege erwarten. Auf dem Weg zum
Frühstück eine riesige Überraschung. Ingrid und Horst Schwarz-Linek aus
Schwerin, die beim 1. Grenzlauf als Fahrradbetreuer das damalige Quartett
vervollständigten, begrüßen uns in der Fußgängerzone. Sie hatten von uns
unbemerkt einen Fanclub Grenzlauf 2004 ins Leben gerufen, und waren von dessen
Mitgliedern delegiert, uns eine Etappe auf den Rädern zu begleiten. Bereits am
Vortag waren sie auf unseren Spuren, die sie auf sandigem Weg durch die Felder
fanden, aber auch ihnen hatte der Sturm zu schaffen gemacht, so daß an ein
Herankommen nicht zu denken war.
Gemeinsam geht’s zum Start, der heute auf dem Sportplatz
„Dreiklang“ stattfindet. Zum Beginn des Sportfestes einer Schule werden wir vom
Bürgermeister und den Schülern verabschiedet, nachdem wir mit allen zwei
Ehrenrunden absolvieren. Mit Erika und Dieter laufen die Schwedter Hasen
Eberhard Scheps und Manfred Lange, den Dieter vom 1. Namibia-Marathon in
Swakopmund kennt. Ihrer Ortskenntnis danken wir gleich hinter dem Grenzübergang
bei Krajnik einen Uferweg, der nach Zaton Dolny führt. Schon von Schwedt aus
sahen wir den Höhenzug auf polnischer Seite. Den müssen wir nun hinauf. Belohnt
werden wir mit einem phantastischen Blick auf das Untere Odertal und auf
Schwedt. Bald verabschieden sich Manfred und Eberhard, und auf einer ruhigen
und waldreichen Landstraße passieren wir den Landschaftsschutzpark Cedynski,
bis wir Dolny erreichen. Zwar ist dort ein Wanderweg markiert nach Cedynia,
aber er driftet uns so weit nach Nordosten ab, daß wir es vorziehen, die
direkte Straße in der baumlosen Ebene zu nehmen zum Zielort Cedynia, dessen
Silhouette sich am Waldhang abzeichnet.
Eine Kinderschar begrüßt uns. Sie begleitet uns zum höher
gelegenen Rathaus, wo uns Bürgermeister Adam Zarzyski begrüßt. Im
Ratssitzungssaal reden wir über unser Vorhaben, über die EU-Erweiterung, über
das Leben an der Grenze zu den deutschen Nachbarn. Nichts hören wir von
irgendwelchen Vorwürfen angesichts nie enden wollender Besitz- und
Schadenersatzansprüche auf beiden Seiten. „Uns ist egal, was in Warschau und
Berlin politisiert wird, wir tun etwas für die Menschen in der Region
beiderseits der Grenze“, sagt der Bürgermeister und fügt verschmitzt hinzu:
„unsere Märkte an der Grenze tragen dazu bei, daß die deutschen Nachbarn besser
leben und wir auch“.
Das Quartier ist 12 km entfernt. Immer schmaler werden die
Straßen, auf denen uns unser Begleitfahrzeug voraus fährt. Hinter dem letzten
Dorf scheint die Welt zu Ende. Nach einer Kurve aber liegt er vor uns: der
ehemalige Gutsherrensitz, gerettet vor dem völligen Verfall durch einen
Stettiner, der es zum fürstlichen Jagdhotel Mysliwski in Zelichow sanierte.
Das erzählt uns das Personal. Die Jagdtrophäen aus aller Welt vom ausgestopften Kamtschatka-Bären bis zum Elchkopf in allen Fluren und Räumen sprechen für sich, erlegt vom Besitzer höchstpersönlich. Unsere Urkunde im Gästebuch kommt sich irgendwie deplaziert vor zwischen all den europäischen Jagdgesellschaften, für die die EU-Erweiterung nur noch Formsache war. Vor dem Abendessen lustwandeln wir noch durch Park und Reiterhof, bevor wir zum Male schreiten. Anschließend machen wir es uns bequem am lodernden Kamin, hingebrezelt in die Sessel mit Elefanten-, Löwen- und Tigermotiven. Wir lassen es uns gut gehen bei Whisky und polnischem Dosenbier.
Freitag, 17. September: Gruppenfoto für den BGS
Cedynia – Seelow, 41 km (Gesamt:222 km)
Das fürstliche Quartier erwies sich preiswerter als
die Jugendherberge in Ueckermünde, was einmal daran liegt, daß die
Jugendherbergen bei Übernachtungspreisen ganz schön nachgezogen haben und
andererseits natürlich, weil in Polen vieles billiger zu haben ist - jedenfalls
für uns. Ein Zeichen des Wohlstandsgefälles, das wir auch ab und zu bedenken
sollten, wenn es um unsere „Verarmung“ geht. Von den Abgesandten des Fanclubs
verabschieden wir uns bereits am Quartier, sie wollen weiter per Rad nach
Küstrin.
Wir müssen aber zum Start am Rathaus. Wieder warten
viele Kinder auf uns, die uns bis zur
Stadtgrenze begleiten. Sie und wir schnaufen ganz schön, denn bis dorthin geht
es tüchtig bergauf. Die Verabschiedung ist herzlich, bis zur nächsten Kurve
laufen wir mehr rück- als vorwärts, um zu winken. Dann sind wir wieder allein.
Eigentlich wollte Bodo wieder in den Lauf
einsteigen, aber eine Zerrung verhindert das und gebietet Erika, an den Start
zugehen. Am Waldrand zur Oderniederung laufen wir auf wenig befahrener Straße
zur nahen Grenze. Links öffnet sich der Wald zur Anhöhe Gora Czcibora mit dem
Monumentalen Denkmal zur Erinnerung an die Schlacht bei Cedynia im Jahr 972,
als unter dem Piastenherzog Mieszko I. der Grundstein gelegt wurde zur Bildung
des polnischen Staates.
Bei Hohenwutzen passieren wir die Grenze. Ein kurzer
Aufenthalt entsteht dieses Mal nicht durch die Ausweiskontrolle, sondern durch
fotografierende BGS-Beamte, die ein Foto haben wollen für die BGS-Zeitung. Auch
sie erhalten selbstverständlich eine der Urkunden mit unseren Autogrammen, die
wir in jedem Etappenort hinterlassen.
Wieder sind wir auf dem Oderdeich und können heute
die ruhige Flußlandschaft genießen, weil sich der Wind fast gelegt hat und die
Sonne ihr bestes gibt. Aber die Strecke bis Groß Neuendorf in der eigentlich
prächtigen Landschaft zieht sich zu Fuß doch sehr. Alle 200 m ein weißer Strich
auf dem Asphalt, wir fangen an zu zählen, denn weitere Anhaltspunkte gibt es
kaum. Am Wegesrand entdecken wir ein Fähnchen: „Schweriner Fanclub Grenzlauf 2004“ steht darauf, hinterlassen
von Schwarz-Lineks, die also irgendwo vor uns fahren. Sie werden auf dem
Oderdamm bleiben, aber für uns heißt es in Groß Neuendorf, abzuzweigen in
Richtung Seelow.
Kurz vor Seelow wird es hüglig, irgendwoher müssen
schließlich die Seelower Höhen ihren Namen her haben. In der Stadtmitte
begrüßen uns Bürgermeister Udo Schulz, die Seelower Organisatorin unseres
Aufenthalts in der Stadt, Petra Stadler, die Presse und unser Wirt, der uns
erfrischende Apfelschorle reicht. Wir stehen direkt vor seinem Hotel, in dem
wir unseren ersten Ruhetag gestalten werden.
Für den Abend lädt uns der Bürgermeister ein zur
Eröffnung des Landesausscheides der Brandenburger Jugendfeuerwehren. Das
Eröffnungsspektakel hat fast olympische Dimension, aber irgendwie kommen wir
uns deplaziert vor und beschließen, den Tag unter uns ausklingen zu lassen.
Sonnabend, 18. September: Ruhetag in Seelow
Seelow hatten wir mit Absicht in unseren
Streckenplan aufgenommen. Dieser geschichtsträchtige Ort mit der letzten großen
Menschen- und Materialschlacht im 2. Weltkrieg mußte dabei sein, wenn es um
heutige EU-Erweiterung geht, um gute nachbarschaftliche Beziehungen zwischen
den Völkern, die damals feindlich gegenüber standen und sich gegenseitig
umbrachten.
Schon auf dem städtischen Friedhof berühren uns
endlose Gräberreihen getöteter deutscher Soldaten. Das kaum faßbare Ausmaß der
Kriegstage an den Seelower Höhen können wir nur annähernd begreifen, als wir
Museum und Gedenkstätte Seelower Höhen am Ortsrand besuchen. Eine wahnsinnige
Abwehrschlacht Nazi-Deutschlands und eine durch den schnellen Vormarsch der
anglo-amerikanischen Verbände im Westen forcierte Offensive von zwei
sowjetischen Armeen, die sich gegenseitig
behinderten, forderte einen ungeheuren
Preis: 50 000 Menschen der Sowjetunion, Polens und Deutschlands metzelten sich
in zwei Tagen nieder. Heute wird die Gedenkstätte immer mehr zu einer Stätte
der Begegnung zwischen Deutschen und ihren östlichen Nachbarn. Die Erinnerung
wachhaltend, will die Gedenkstätte beitragen zur Aussöhnung und für eine
gemeinsame Zukunft fern aller Feindbilder.
Bodo kann leider nicht bei uns sein. Er muß sich im Krankenhaus das Knie behandeln
lassen. Erika wird also wieder auf die Strecke müssen, wenn es am nächsten Tag
nach Klopot geht.
Sonntag, 19. September: Der Gemeindevorsteher läuft mit
Seelow - Urad/Klopot, 49 km (Gesamt: 271 km)
Es ist Wahlsonntag in Brandenburg und Sachsen. Der
Bürgermeister hat sicherlich Wichtigeres zu tun, als uns zu verabschieden. Wir
stecken ihm unsere Urkunde in den Briefkasten des Rathauses und laufen los bei
bestem Sonntagswetter in Richtung Frankfurt/Òder. In Booßen erwartet uns der 2.
Fanclub: Adelheid Abjörnson und Walter Maiwald aus Berlin. Sie wollen mit uns
über die Grenze radeln. Adelheid war eine Mitschülerin von Dieter, Walter hat
so manchen Marathon und auch langen Rennsteiglauf in den Beinen. Wir acht
streben Frankfurt/Oder zu. Ein bißchen verlaufen wir uns in Frankfurt bis zur
Grenze, aber die städtischen Parkwege , die wir dadurch kennenlernen können,
machen das wett.
Hinter der Grenze biegen wir in Slubice der Oder
folgend nach Süden und queren die Bahnlinie Berlin-Warschau und die Autobahn.
Vor Swiecko verabschieden sich Adelheid und Walter. Weiter laufen wir durch ein
großes Waldgebiet über Rybocice. Hinter Kunice warten Dawid Wincek und seine
Sandra auf uns. Dawid läuft mit, und Sandra dolmetscht auf dem Fahrrad. Etwa 1
km vor Urad begrüßt uns Gemeindevorsteher
Kuleczko Kaszimierz. Im weißen Hemd und in Anzugshose läuft er mit. Er
tut das voller Ehrgeiz und wir befürchten, daß er sich übernimmt. Aber er lacht
und redet auf uns ein, Sandra übersetzt und wir sind in Urad.
Auf der Terrasse der Dorfgaststätte ist Hochbetrieb,
es ist schließlich Sonntag, und die
Sonne meint es gut. Uns aber lädt der Gemeindevorsteher zum Essen ins Haus. Wir
lassen es uns schmecken, und Herr Kaszimierz erzählt, wie hier der Tag der
EU-Erweiterung gefeiert wurde. Nach Aurith auf der anderen Oderseite gab es
einen regen Fährbetrieb. Gemeinsam wurde gefeiert. Wieder erhalten wir die
Bestätigung, daß Vorbehalte und Vorurteile gegenüber den Nachbarn vor Ort
gegenstandslos sind. Darauf stoßen wir an. Wie es sich gehört, mit gutem
polnischen Wodka.
Wir haben ihn, das reichliche Essen und 49 km in den
Beinen. Unseren ursprünglichen Plan, gemeinsam mit Dawid auf dem Oderdeich
weiterzulaufen bis Klopot zur Übernachtungsstätte, geben wir auf. Außerdem war
Urad ursprünglich sowieso als Etappenziel vorgesehen. Aber wegen fehlender
Übernachtungsmöglichkeit hatte Dawid schon im Vorfeld das 15 km entfernte
Klopot vorgeschlagen. Herzlich verabschieden wir uns vom gastfreundlichem Urad
und seinem fröhlichen Gemeindevorsteher.
In Klopot finden wir Unterkunft in der Jugendherberge.
Unser Lager im Schlafraum erinnert an so manch ähnliche Situation in
Klassenzimmern vor dem Start zu Laufveranstaltungen mit dem Unterschied, daß
Matten und Bettzeug für uns eiligst hergerichtet werden. Eine Gaststätte gibt
es im Dorf nicht, aber es wird dafür gesorgt, daß der Dorfladen für uns auch am
Sonntag öffnet. Die Dorfbewohner sind offensichtlich erfreut darüber, denn die
Gelegenheit der Sonderöffnung wird ausgiebig von ihnen genutzt. Über uns sind
sie informiert, denn an den Alleebäumen der Dorfstraße ist unser Kommen
angekündigt.
Zum Abendbrot werden wir an den gemeinsamen kleinen
Tisch eingeladen, der für die in der JH Beschäftigten zur Verfügung steht.
Schnell kommen wir mit den beiden Mädchen, die hier ihr soziales Jahr
absolvieren, ins Gespräch. Verständigungsprobleme gibt es nicht. Die gebürtige
Polin Magda lebt mit ihren Eltern in Höxter an der Weser und hat dort ihr
Abitur gemacht, Charlotte kommt aus Grimmen in Mecklenburg-Vorpommern. Es ist
ein fröhliches Abendessen mit den beiden, die uns auch das kleine
Storchenmuseum im Haus zeigen. Hier ist ihr eigentliches Betätigungsfeld beim
Ausbau des Museums und bei Führungen in die umliegende Landschaft mit ihrem
Storchenreichtum. Magda möchte nach dem Studium im agrartouristischen Bereich dieser
Gegend arbeiten, für den sie eine gute Perspektive über die Grenzen hinweg
sieht. Der Abend ist interessant und entsprechend lang.
Montag, 20. September: Großer Bahnhof auf der Neissebrücke
Klopot – Guben, 41 km (Gesamt: 312 km)
Ein Pannenstart. Als Walter vom Gehöft fährt, steht
er auf einem Platten. Walter und Bodo, der immer noch nicht einsatzfähig ist
fürs Laufen, werden den Reifen wechseln, so daß wir pünktlich starten können.
Bürgermeister Grzegor Gonisiewski aus Cybinka ist extra zum Start nach Klopot
gekommen, um uns zu verabschieden. Er wird später Dawid wieder mit zurück
nehmen, der heute mit Magda ein Stück mitläuft. Wir danken beim Abschied dem
Bürgermeister und dem Chef des Nationalparks für die Gastfreundschaft in der
Region Cybinka und winken den Dorfbewohnern zu.
Es ist ein schöner Morgen, der Nebel steigt aus den
Wiesen, die Sonne scheint durch den Frühdunst der Wälder. Heute müssen wir
einen größeren Umweg laufen. Die Oder biegt nach Osten ab, aber die nächste Oderquerung
ist erst nach etwa 20 km möglich. Am Ortsausgang von Rapice werden unsere
beiden Begleiter vom Bürgermeister erwartet. Wir verlassen Freunde, danken
ihnen für ihre Gastfreundschaft und laden sie nach Schwerin ein zum
Fünf-Seen-Lauf.
In Polecko erreichen wir die Oder, die wir zum
letzten Mal queren werden. Eine Fähre setzt uns über. Zu unserer Überraschung
wird dafür nicht kassiert. Auf der anderen Seite wartet ein polnisches
Polizeiauto, das uns von Gubin entgegengeschickt wurde, um als Vorausfahrzeug
mit Blaulicht zu fungieren. Das ist zwar freundlich gedacht, aber bei unserem
Tempo ist es des Aufwands zu viel, zumal wir
nun die Abgase atmen müssen. Unser freundlicher Versuch, die Polizisten
vorauszuschicken, scheitert an Verständigungsschwierigkeiten und wohl auch an
dem Einsatzbefehl, den wir natürlich nicht außer kraft setzen können. So blinkt
und stinkt es also 19 km vor uns her.
5 km vor dem Ziel erwarten uns die ersten Gubiner
Läufer, es werden immer mehr. In Gubin schließlich laufen polnische und
deutsche Fußballjungen in ihren Vereinstrikots der deutsch - polnischen Bambino
- Fußballschule bis zum Grenzübergang auf der Neissebrücke mit. Hier ist großer
Bahnhof. Der Gubiner Bürgermeister Lech Kiertyczak, sein Gubener Amtskollege
Klaus-Dieter Hübner, Frau Petrick von der Euroregion Spree-Neisse-Bober, die
frisch gekürte Apfelkönigin Jana Wilke,
Cheforganisator des Zielempfangs Peter Adrian, Presse und Fernsehen
stehen zum Empfang bereit. Hier in Guben und Gubin funktioniert die
Nachbarschaft. Das Städteentwicklungskonzept heißt sehr bezeichnend
„Doppelstadt Guben-Gubin – eine Zweiheit. Das Ziel greift weit voraus: 2030,
aber schon jetzt ist im Tagesgeschehen vieles Realität, wie die Fußballjungen
belegen, die abwechselnd in Guben und Gubin trainieren und auch schon mal bei
Punktspielen gegenseitig einspringen. Auch wir machen von dieser gelebten
Zweiheit Gebrauch und essen am Abend im Rathauskeller von Gubin, u.a. Ente
gefüllt mit Leber nach polnischer Art mit schlesischen Klößen.
Dienstag, 21. September: Mißratene Zielankunft
Guben – Trzebiel, 35 km (Gesamt: 347 km)
Direkt am Grenzübergang im Zentrum der Zweiheit
Guben – Gubin verabschiedet uns Bürgermeister Hübner. Im Gefolge haben wir auf
dem ersten Kilometer wieder polnische und deutsche Kinder. Heute läuft Bodo
wieder mit, der Wind bläst uns auf dem Neissedeich hart ins Gesicht. Wir sehnen
das erste Waldstück und die erste Biegung herbei, um ein wenig Schutz zu
bekommen. Auf dem ehemaligen Bahndamm und heutigen Oder-Neisse-Radweg wird es
ruhiger. Aber es riecht nach Schwefel. Er kommt vom Braunkohlentagebau
Jänschwalde, der sich hinter dem Waldstreifen verbirgt. Thomas macht einen
Abstecher dorthin, denn es ist Neuland für ihn. Auf dem Radweg bleiben wir bis Briesnig.
Anstatt aber nach links wieder zum Neissedamm abzubiegen, wählen wir die Straße
über Naundorf nach Sacro. Bei starkem Gegenwird auf der baumlosen Strecke nicht
gerade ein Erholungstrip. Auf diesem Abschnitt überholt uns ein BGS-Fahrzeug
und bleibt auffällig in unserer Nähe. In Sacro wissen wir warum. Wir wären
unserer Orientierung folgend nach Süden abgebogen, aber die offensichtlich von
wem auch immer informierten BGS-Beamten weisen uns auf den Weg, der für uns
unverständlich nach Norden abbiegt. Er bringt uns aber wieder auf den
Neissedeich zurück. Und wieder der Wind!
Zu unserer Überraschung und Freude ist der Weg zum Grenzübergang Forst
aber kürzer als in den Karten vermerkt.
Am Grenzübergang wartet man schon auf uns. Unsere
Ausweise will keiner sehen, wohl aber einiges hören über unser Unternehmen.
Zeit dazu haben wir, denn die Stadt Forst hatte den BGS gebeten, uns
aufzuhalten, bis Vertreter der Stadt bei uns eintreffen. Die Wärme des
Aufenthaltsraums tut uns gut, und für die Beamten sind wir eine interessante
Abwechslung im Grenzgeschäft. Dieses Mal empfängt uns eine Stadt nicht vor dem
Rathaus sondern an der Nahtstelle nachbarschaftlicher Länder. Die beiden Mitarbeiterinnen der Forster
Stadtverwaltung überreichen uns Gastgeschenke,
und wir sprechen angeregt über Sorgen und Chancen in der Grenzregion.
Doch wir müssen weiter.
Der Aufenthalt hat Zeit gekostet. Wir aber sind um
15.00 Uhr mit dem Bürgermeister auf dem Marktplatz von Trzebiel verabredet. Vor
Brozek entscheiden sich Bodo und Dieter, im Bus Zeit zu sparen, während die Radfahrer weiterfahren.
Selbstverständlich werden die Kilometer im Bus nicht als Laufkilometern
gezählt..
Die Zeitersparnis löst sich aber schon hinter Brozek
in Wohlgefallen auf. Nirgendwo ist zu entdecken, wie es weiter geht nach
Trzebiel. Also fahren wir die Asphaltstraße weiter. Sie führt in ein großes
Waldgebiet, das sich sehr bald als riesiges militärisches Gebiet erweist.
Erdbunker folgt auf Erdbunker, es wird unheimlich. Später erfahren wir, daß es
sich um ein Munitionsdepot handelt, das die deutsche Wehrmacht für ihren
Ostritt brauchte.
Nach längerer Fahrt stellen wir fest, daß wir im
Kreis gefahren sind. Wir sind wieder in Brozek. Am Ausgangspunkt unserer
Irrfahrt führt ein Waldweg nach rechts ohne jegliche Ausschilderung. Hier waren
wir schon einmal. Wir vermuten auf Grund der Kartenlage, daß es der Weg nach
Trzebiel ist. Über Handy verständigen wir uns mit den Radfahrern, die bereits
auf dem gleichen Irrweg sind.
Wir müssen uns wieder für den Bus entscheiden, denn
die Zeit drängt. Im Schneckentempo geht es auf dem ausgefahrenen Sandweg bis
zum Autobahngrenzübergang bei Bademeusel. Kurz darauf laufen wir weiter und
kommen pünktlich in Trzebiel an. Gleichzeitig mit uns Bürgermeister Eugeniusz
Olejniczak. Wir müssen eine peinliche
Überraschung erleben. Schulkinder waren mit einem Bus zum Grenzübergang
gefahren, um uns dort gemeinsam mit dem
Bürgermeister zu begrüßen. Damit hatten wir nicht rechnen können, denn als Treff
hatte uns der Bürgermeister den Marktplatz mitgeteilt. Mittlerweile ist auch
der Bus mit den Kindern eingetroffen Wir versuchen trotz großer Sprachprobleme,
das bedauerliche Mißverständnis aufzuklären.
Der Bürgermeister begleitet uns in ein nahegelegenes
neues Hotel, das uns an die Übernachtung
im Jagdsitz bei Cedynia erinnert. Auch hier wieder viele Jagdtropäen,
auf den Fluren stolpern wir über Wildschweinfelle und Kuhhäute. Der deutsch
sprechende Hotelbesitzer übersetzt dem Bürgermeister den komplizierten
Sachverhalt unserer Irrfahrt. Im Gegensatz zu uns kann der Bürgermeister nun
schmunzeln. Am nächsten Morgen werden die Kinder wieder dabei sein, wenn wir
starten, versichert er und verabschiedet sich mit Prospekten seiner Stadt.
Das Hotelgeschäft gehe gut, sagt uns der
Hotelbesitzer. Jagdgesellschaften aus Deutschland kämen gern hierher in diese
wildreiche, aber offensichtlich sehr verlassene Gegend.
Mittwoch, 22. September: Der Halbzeit entgegen
Trzebiel – Rothenburg, 44 km (Gesamt: 391 km)
Als wir auf dem Marktplatz von Trzebiel eintreffen,
herrscht schon Trubel. Heute ist auch ein Dolmetscher dabei, der uns die Worte
des Bürgermeisters übersetzen kann. Von ihm erfahren wir, daß wir vor der
Grenze bei Leknica auf den größten Polenmarkt treffen werden. Die kleine Stadt
bereitet uns einen herzlichen Abschied, und die Kinder laufen mit bis zur
Stadtgrenze.
Wir kämpfen mit einem scharfen kalten Gegenwind.
Nach 13 km ist der Grenzübergang Bad Muskau erreicht. Wir biegen bei der ersten
Gelegenheit nach links und verpassen trotzdem den Fahrradweg auf dem
Neissedeich. So laufen wir die Straße weiter, die im großen Bogen um die
Muskauer Heide und um den Truppenübungsplatz bei Weißwasser führt. Bei Dieter
werden Erinnerungen wach: hier hat er vor fast einem halben Jahrhundert in seiner
Armeezeit mit der Panzerkanone auf Pappscheunentore geschossen.
Die Straße zieht sich endlos durch den Wald, aber
auf den Radweg wollen wir auch nicht mehr, er ist sehr kurvenreich und damit
länger. Außerdem befürchten wir dort wieder den Wind. In Steinbach hört das
Waldgebiet auf. Der Wind macht sich wieder unangenehm bemerkbar.
Vom Ortseingangsschild zieht sich Rothenburg endlos
hin bis zum Marktplatz mit seinem schönen, aber verschlossenen Rathaus. Es ist
schließlich Mittwoch nachmittag. Wir suchen unser Quartier und fahren deshalb
zurück zum Vereinsgelände des ASV (nicht mehr Armee- sondern Allgemeiner
Sportverein). Die Radfahrer werden dabei von einem tüchtigen Platzregen
erwischt. Im Vereinssaal sind heute die Vereinssenioren zum Kaffeenachmittag zusammen.
Wir partizipieren mit Kaffee und Bockwurst und werden zum Übernachten an das
Vereinshaus in Bremenhain verwiesen, das hinter dem Flugplatz
Rothenburg-Görlitz liegt.
Zum Abendessen müssen wir wieder in die Stadt. Beim
Türken Özgür gibt es leckere Gerichte und interessante Meinungen zur Türkei und
zu den Kurden, die nach Ansicht Özgürs der EU-Aufnahme seines Landes
entgegenstehen. Die westliche Türkei sei Europa, aber der kurdische Osten eben
nicht.
Ja, und warum laßt Ihr sie nicht einen eigenen Staat
gründen gemeinsam mit den iranischen und irakischen Kurden, dann wäre das
Problem doch gelöst, fragen wir verwundert. „Dazu haben wir zuviel dort
investiert“, ist die ehrliche Antwort. Und um das Öl geht es ja wohl auch.
Heute ist Grund für ein Extra-Bier, mit dem wir auf
das Bergfest anstoßen. Aber die Berge werden ja erst noch kommen!
Donnerstag, 23. September: Bekanntschaft mit einem Radfernfahrer
Rothenburg – Bogatynia, 48 km (Gesamt: 439 km)
Auf das Rathaus brauchen wir keine Rücksicht zu
nehmen. Wir laufen hinter Rothenburg los. Der ASV-Hausmeister hat uns wertvolle
Tips gegeben und uns abgeraten, den Radweg an der Neisse zu laufen. Unterwegs
kommen wir durch einen Skulpturenpark mit skurrilen Gebilden: festgenagelte
Schuhe auf Pfählen, eine Fahrradschrottplastik, eine Trollpforte, von der wir
gern wüßten, wo sie hinführen mag, aber wir müssen ja weiter.
In Ludwigsdorf haben wir leichte Probleme, den Weg
zu finden, den uns der Hausmeister nannte. Aber gleich hinter der Autobahnbrücke
haben wir ihn, auch wenn er entgegen unserer Vorstellung nach rechts führt. Das
hat aber seine Richtigkeit. Allerdings müssen wir uns nun wohl davon
verabschieden, im Flachland zu laufen.
Am Stadtrand von Görlitz laufen wir wieder der
Neisse zu und müssen einen steil hinab führenden Weg auf Kopfsteinpflaster
bewältigen. Von hier unten an der Neisse sehen wir den felsigen Steilhang
hinauf auf ein Stück Altstadt mit dem gewaltigen Fundament der Pfarrkirche St.
Peter und Paul. Über die Neisse führt die neue Stadtbrücke, die kurz vor der
Verkehrsfreigabe steht. Sie wurde ebenso gefördert von der EU wie viele andere
Gebäude auch, an denen noch die Gerüste stehen. Trostlos allerdings ist der
Blick über die Neisse. Noch hat Zgorzelec offensichtlich keine Fördertöpfe
gesehen.
Im Park an der Neisse wird es richtig romantisch.:
links der Fluß, rechts die Felsen und dazwischen üppige Vegetation. Noch haben
wir Görlitz nicht hinter uns gebracht. Wir erreichen die Ausfallstraße nach
Zittau und warten sehnlichst auf das Ortsausgangsschild. Walter haben wir
verpaßt, wir werden ihn kurz vor dem Grenzübergang Hagenwerder wiedersehen. Ab
Ortsausgang geht es auf dem Radweg weiter, der glücklicherweise den regen
Verkehr der Straße verläßt. Rechter Hand sehen wir das bergige Wahrzeichen von
Görlitz, die Landeskrone, und den Braunkohlentagebau Hagenwerder.
Hinter der Grenze bleiben wir auf der Straße. Der
starke und schnelle Verkehr nervt, die Hügel nehmen zu. In Dzialoszyn wären wir
nach erster Planung im Etappenziel gewesen, aber in der kleinen Gemeinde hätten
wir kein Glück mit Übernachtung gehabt. So wurde der Etappenplan geändert mit
der Auswirkung, daß noch etwa 8 km vor uns liegen, die ausschließlich an
Braunkohlengruben vorbei führen, zunächst nur links und dann auf beiden Seiten
bis Bogatynia. 5 km vor dem Ziel steht wieder ein Polizeiauto, und wieder das
gleiche Spiel: mit Blaulicht vor uns her. Hinter uns wäre es uns natürlich
lieber gewesen wegen des Gestanks und gewissermaßen als Schutz vor den vorbei
rasenden Autos. Aber schließlich erweist sich die Polizei als nützlich, denn
wir werden zielsicher durch die Stadt zum Rathaus geleitet.
Bürgermeister Zbiegniew Szatkowski steht dort, die
Presse und das Fernsehen auch. Kurz vor unserem Eintreffen hatten sie bereits
einen Chilenen begrüßt, der seit Bushs Angriff auf den Irak mit dem Fahrrad
bereits 10 000 km durch Südamerika und Europa hinter sich hat und als
Friedensfahrer auf dem Weg in den Irak ist.
Im Sportlerheim am Stadion bekommen wir kostenfrei
Quartier und Abendbrot. Mit dem Chilenen Hernán Munoz Claro, den wir im weißen
Hemd und Schlips kaum wieder erkennen, sitzen wir lange zusammen. Er erzählt
über seine Tour und deren Absicht, wie er sich durchschlägt als
Straßenmusikant, aber auch über seine Familie und seine Kinder, die er für
lange Zeit allein gelassen hat.
Freitag, 24. September: Am ersten Dreiländereck
Bogatynia – Hradek – Zittau, 27 km (Gesamt: 466 km)
Eine kurze Etappe steht uns bevor, aber eine wichtige. Es wird die einzige
Etappe sein, auf der wir die drei Länder verbinden können. Zum letzte Mal
brechen wir von einer polnischen Stadt auf und können resümierend sagen, daß
wir außer in Stettin überall herzlich und voller Gastfreundschaft empfangen
wurden. Danke Polen!
Wir melden uns im Rathaus von Bogatynia zum Start,
aber dort weiß keiner so recht Bescheid.
Wir wollen gerade starten am, da kommt etwas verspätet der
Bürgermeister. Seine Mitarbeiter spuren, Gastgeschenke werden verteilt, der
Bürgermeister weist voller Stolz auf den funktionierenden Dreiklang Bogatynia –
Hradek nad Nissou – Zittau hin und wir laufen los. Vor uns wieder das
Polizeiauto.
Das brauchen wir heute nun schon gar nicht. Thomas
läuft die Etappe mit angesichts der Kürze des Weges nach Zittau. Das Tempo ist
sehr gemäßigt. Dieter mahnt ein bißchen Eile an, denn wir werden noch im tschechischen Hradek erwartet. Wir
verständigen uns, und Dieter läuft in Begleitung von Ingrid ins tschechische
Hradek, während Bodo und Thomas in Begleitung von Erika und Walter direkt
Zittau anstreben. Telefonischer Kontakt nach Liberec zu Pavel Branda vom
dortigen Büro der Euroregion, der das Treffen in Hradek organisierte, kommt wie
so oft in Grenznähe nicht zustande. Wir haben bereits die Stadt erreicht, als
Pavel anruft: „was, Sie sind schon dort, ich komme gleich von Liberec rüber“.
Zum Marktplatz ist es nicht weit, wir warten und warten bei Niesel und Kühle.
Zwei Radfahrerinnen aus Zittau sprechen uns an: „Sie haben wir doch neulich im
Fernsehen gesehen“. Wir erzählen von unserer Tour, da taucht nach einer guten halben Stunde Pavel Branda
auf und führt uns ins Rathaus. Eine freundliche und lustige Bürgermeisterin
begrüßt uns. Sie spricht gut deutsch, so dicht an der Grenze sicherlich keine
Seltenheit, aber ihre Deutschkenntnisse haben einen weiteren Grund. Sie ist
verheiratet mit dem Saarländer Zimmermann, der hier in der Grenzregion seinen
Dienst als leitender Zollbeamter versieht. Nun ahnen wir auch den Namen der
Bürgermeisterin: Zimmermann, aber selbstverständlich mit der tschechischen
Endung –ova.
Es ist ein interessantes und angeregtes Gespräch.
Herr Zimmernann läuft auch, und wir laden ihn und Pavel zum nächsten
Fünf-Seen-Lauf ein, für den wir die Ausschreibung selbstredend in der Tasche
haben. Der Bitte von Frau Zimmermannova folgen wir gern, am Dreiländereck ein
Foto von uns allen zu machen. Dort erzählt sie uns, was sich am Tag der
EU-Erweiterung hier abgespielt hat. Holzbrücken über die Neisse wurden
geschlagen, das Denkmal eingeweiht und von Polen, Tschechen und Deutschen ein
Volksfest gefeiert, an dem auch Bundeskanzler Schröder teilnahm.
Nach herzlichem Abschied legen wir die letzten
wenigen Kilometer über die tschechisch-polnische und die polnisch-deutsche
Grenze zurück.
Walter, der zur rechten Zeit auf dem Zittauer
Marktplatz war, hatte uns bereits informiert, daß auch hier das Rathaus fest
verschlossen ist. Also gleich ins Quartier, aber wohin? Ein PKW hält neben uns:
„Sind Sie die Grenzläufer“? Wir bejahen strahlend. Die beiden Insassen des
Fahrzeugs stellen sich als Journalisten vor. Sie hatten vor dem Rathaus
gewartet, aber weder drin noch draußen regte sich etwas, was für eine
Berichterstattung schließlich Voraussetzung ist. Also gleich an der
Straßenkreuzung ein Interview und ein Foto für die Ausgabe der Zittauer Zeitung
am nächsten Tag.Endlich ist wieder Ruhetag, Seelow liegt schon sechs Etappen
zurück, und die Berge werden nun unweigerlich kommen. Am Abend machen wir uns
mit Zittau bekannt und sind erstaunt, wie sich das Stadtbild in den letzten Jahren
gemausert hat. Das Damoklesschwert, das über der Stadt lag wegen der auf Zittau
unaufhörlich zu kriechenden Braukohlegruben ist Vergangenheit.
Sonnabend, 25. September: Ruhetag in Zittau
Den Stadtbummel vom Vortag müssen wir nicht
wiederholen. Mit dem Zittauer Gebirge gibt es ein lohnendes Ausflugsziel, und
das Dreiländereck wollen Erika, Bodo und Walter schließlich auch sehen. Thomas
macht sich mit dem Fahrrad auf, um die Gegend allein zu erkunden. Wir fahren
zunächst zum Rathaus in Hradek, um unsere Urkunde abzugeben, essen im
tschechischen „Volkshaus-Saloon“ am Stadtrand auf dem Weg zur Grenze und
statten dem Dreiländereck unseren Besuch ab. Dann geht es wieder zurück über
die beiden Grenzen nach Oybin. Walter staunt: ein Gebirge hatte er in dieser
Ecke nicht vermutet und muß sich eines Besseren belehren lassen.
Heute machen wir auf Autotourismus, wie so viele
andere auch, die den Parkplatz füllen. Der Tourismus boomt wieder in der vor
Jahren abgeschiedenen Region. Der Oybiner Felsen wird bestiegen und weiter geht
es Richtung Hochwald. Wir steigen auf dem Kamm aus und müssen dann doch noch
ein gutes Stück nach oben wandern, denn
der Hochwald liegt immerhin bei 800 m Höhe. Bei bestem Sonnenwetter genießen wir
eine phantastische Sicht auf Böhmen in Richtung Süden, nach Norden in das
wellige Zittauer Land und nach Westen in die Laufrichtung des morgigen Tages.
Im „Volkshaus-Saloon“ hatte es uns gut gefallen, die
Speisekarte war noch nicht abgearbeitet, die Wanderung zum Hochwald hat uns
hungrig gemacht, also beschließen wir gemeinsam mit dem wieder eingetroffenen
Thomas, unseren Ruhetag dort mit einer Völlerei zu beschließen.
Sonntag, 26. September: Deutsche in Tschechien
Zittau – Velky Senov, 34 km
(Gesamt: 500 km)
Nach einem Ruhetag fällt der Start besonders schwer,
vor allem wenn es gleich bergauf geht. In Mittelherwigsdorf läuten die
Kirchglocken, es ist sonntägliche Stimmung in den Dörfern des Lausitzer
Berglandes. Zunächst kommen wir gut in Tritt, aber beim Abwärtslaufen nach
Seifhennersdorf will Dieters linke Hüfte nicht mehr. Befürchtet hatte er, daß
sich sein Knie meldet, mit dem er schon vor dem Grenzlauf zu tun hatte. Aber
nun sitzt der Schmerz ein Gelenk weiter oben! Im hinkenden Wanderschritt geht’s
der Grenze entgegen. Bei Bodo läuft es heute gut und das kostet er
selbstverständlich aus. Er wartet am Grenzübergang, und gemeinsam geht’s weiter
durch das endlose Rumburk. Vor Brtnik
kann Dieter auch nicht mehr gehen. Alle reden auf ihn ein, schließlich steigt
er in den Bus, den er aber nach 3 km wieder verläßt. Seine Hüfte hat sich durch
das Sitzen ein wenig erholt, und er hat einen Vorsprung, den er auf den letzten
Kilometern auch braucht, denn Bodo ist immer noch gut drauf. Gemeinsam
erreichen wir das Rathaus von Velky Senov.
Hier ist zunächst alles ruhig, weil wir trotz
Gehpausen vor der angegebenen Uhrzeit da sind. Wir bestaunen das schöne Rathaus
aus der Gründerzeit, da öffnet sich die Tür und Bürgermeister Milos Ruziska
erscheint: “Sie sind schon da? Kommen Sie rein, wir erwarten noch Gäste“. Im ehrwürdigen Ratssitzungssaal nehmen wir Platz, und die Angekündigten
kommen: Mitglieder der deutschen Volksgruppe, die nach dem Krieg hier geblieben
sind. Sie erzählen von schwierigen Zeiten, die sie vor der Wende durchlebten,
jetzt aber werden sie mehr und mehr zu gleichberechtigten Bürgern. Der
Bürgermeister berichtet voll Stolz über die frühe Stadtgründung, die in
Urkunden des österreichischen Kaisers belegt und vor uns ausgebreitet ist. Der
Ortschronist gibt dafür die notwendigen Erläuterungen.
Noch lange hätten wir diese interessante Begegnung
fortsetzen können, aber wir erfahren, daß der Bürgermeister auf dem Weg in den
Urlaub ist. Wir mahnen zum Aufbruch. Zum Abschied möchte der Bürgermeister mit uns
anstoßen auf unser Unternehmen, auf gutnachbarliches Zusammenleben und wir
ergänzen: auf seinen Urlaub. Dafür wird Becherovka geholt, der uns in
Weingläsern serviert wird.
Frau Hille und ihr Sohn aus der deutschen
Volksgruppe bringen uns zu unseren Quartiereltern. Frau und Herr Weber sind
ebenfalls Deutsche. Sie hat es aus dem Hessischen wieder in ihr Elternhaus
gezogen, und ihr Mann mußte wohl oder übel mit. Das ehemals heruntergekommene
Haus – sie zeigt uns Fotos – ist bestens saniert und steht als Pension zur
Verfügung. Wir werden zum Abendbrot geladen, Frau Hille kommt mit ihrem Sohn,
und wir reden lange über das Leben in diesem tschechischen Zipfel. Ein bißchen
Lethargie spüren wir, als es darum geht, wie dieses landschaftlich schöne Stück
Erde genutzt werden könnte für die touristische Entwicklung. Wir versuchen,
ihnen Mut zu machen und sich als Volksgruppe einzubringen für eine Belebung der
Region in der einzigartigen Lage zwischen Zittauer Gebirge und Sächsischer
Schweiz.
Montag, 27. September: Durch die Sächsische Schweiz
Velky Senov – Rosenthal-Bielatal, 38 km (Gesamt: 538 km)
Ein herzlicher Abschied von Webers und Hilles. Im
letzten Gespräch erfahren wir, daß die deutsche Volksgruppe durch unseren
Aufenthalt zum ersten Mal in persönlichen Kontakt mit dem Bürgermeister
gekommen ist. Wir hoffen, daß jetzt das Eis gebrochen ist und wünschen alles
Gute für sie und für ihre Stadt.
Vor dem Rathaus verabschiedet uns die
Deutschlehrerin, ihre Schüler begleiten uns ein Stück. Michael aber möchte
mitlaufen bis zur Grenze. Unser Tempo müssen wir entsprechend drosseln. Wir
haben keine Ahnung, wie er zurückkommen wird, und wollen uns an einer
Bushaltestelle von ihm verabschieden. Verständigung ist trotz Deutschunterricht
kaum möglich, aber wir merken, daß er weiter laufen will. An der Grenze zu
Sebnitz wissen wir, wieso. Sein Vater wartet dort, um ihn zurückzufahren.
Hinter Sebnitz müssen wir eine heftige Steigung
hinauf. Von der Straße an der Hochbuschkuppe mit immerhin schon über 400 Höhenmetern
geht unser Blick über die Sächsische Schweiz mit ihrer imposanten
Felsenkulisse. Wir bleiben ab Kirnitztal auf der leider sehr befahrenen Straße,
um uns den sicherlich reizvolleren aber auch längeren Weg durch das
Kirnitzschtal zu ersparen. Das ständige Auf und Ab beschert Bodos Muskeln
schmerzhafte Probleme. Ab Altendorf geht nichts mehr. Er muß zu Walter in den
Bus, um auf halbem Weg zwischen Bad Schandau und Königstein wieder einzusteigen
in das Laufgeschehen.
Hinunter geht es ins Elbtal nach Bad Schandau, aber
wir müssen ja auf der anderen Elbseite wieder hinauf! Thomas hat klugerweise
den Radweg an der Elbe gewählt, um in Höhe Königstein mit der Fähre
überzusetzen. Wir aber queren über die Autobrücke die Elbe und liefern uns dem
lebhaften Verkehr ohne Fuß- und Radweg aus. Die Straße steigt langsam aber
unaufhörlich bis Königstein. Der Ausgang der Sachsenwahl mit Einzug der NPD in
den Landtag ist hier mit 20 % für die Neonazis besonders dramatisch.
Wir müssen nach links in das Bielatal, lassen die
berühmte Festung rechts liegen und nehmen den Anstieg bis hinauf nach
Rosenthal. Mit der 5km langen Steigung haben die Radfahrer tüchtig zu tun. Zum
ersten Mal bleiben sie hinter Dieter zurück, der Bodo nicht mehr erreichen
konnte.
Auch in Rosenthal rührt sich nichts im Gemeindebüro,
wie Walter und Bodo feststellten. Wir fahren also gleich weiter zum Gasthof
Raum, denn es ist herbstlich ungemütlich und kalt geworden.
Im Gasthaus erhalten wir wieder Besuch. Gisela und
Karl-Heinz Mergel, Freunde aus Ingrids und Dietrichs Leipziger Studentenzeit,
sind aus Dresden als 3. Fan - Club zu uns gekommen. Wir verbringen mit ihnen
schöne Stunden.
Dienstag, 28. September: Hoch zum Erzgebirgs-Paß
Rosenthal/Bielatal – Zinovec, 33 km (Gesamt: 571 km)
Es ist endgültig Herbst und kalt geworden. Erika ist
wieder in das Laufgeschäft eingestiegen. Zum Warmlaufen gibt es gleich eine
Steigung von 15 %. In Oelsen warten Erika und Dieter auf die Radfahrer, die den
Anstiegen Tribut zollen mußten. Während Bus und Radfahrer die Straße oberhalb
der Talsperre Gottleuba fahren, versuchen Erika und Dieter ihr Glück über einen
Feldweg, der zwar auf der Karte etwas kürzer erscheint, aber beiden einen
zusätzlichen Anstieg und entsprechenden Abstieg beschert. Ein einheimischer
Pilzsucher will uns zurückschicken, sein vorgeschlagener Weg wäre viel kürzer,
nur eine Dreiviertelstunde zu Fuß bis Zinnwald. Doch wie so oft erlebt, muß man
mißtrauisch sein gegenüber Ratschlägen von Ortskundigen. Es sind schließlich
noch 25 km, daran kann auch der Pilzsucher nichts wesentliches ändern.
Wir treffen wieder auf die Radfahrer und den Bus,
und weiter geht es auf 600 m hinauf bei Breitenau, bevor wir bei Liebenau die
Baustelle der Autobahn Dresden – Prag queren. Steil geht es hinab nach Geising.
Wenn wir doch die schon erreichte Höhe behalten könnten! Aber wir müssen erst
einmal runter. Auf der Höhe sehen wir
Zinnwald liegen,. Ab Geising geht es
dann richtig zur Sache, denn Zinnwald liegt bei 800 m Höhe. Am Grenzübergang
Zinnwald muß Dieter auf Erika und die Radfahrer warten. Ingrid ist kaputt von
dem mörderischen Anstieg und hat genug für den heutigen Tag. Es ist kalt und
neblig, aber das Quartier ist ja nicht mehr fern. Ein wenig haben wir uns
allerdings geirrt. Das Hotel „Lipa“ („Zur Linde“) soll zwar gleich am
Grenzübergang liegen, das tut es auch, aber am neuen Übergang 2 km entfernt.
Wir irren eine halbe Stunde durch die unwirtliche Gegend, rufen im Hotel an,
und erfahren, daß wir nur noch auf eine guten Steinwurf entfernt sind vom Ziel
auf der anderen Seite der autobahnähnlichen Straße.
Mit Begrüßung können wir hier nicht rechnen. Der
Nachmittag wird genutzt zu einem Abstecher ins nahe Altenberg, während Ingrid
die Zeit braucht zur Erholung von den Strapazen der Radkletterei.
Mittwoch, 29. September: Wo ist das Quartier?
Zinovec – Seiffen, 44 km (Gesamt: 615 km)
Das Wetter ist noch steigerungsfähig. Bei Wolken,
Niesel und Kälte laufen Erika und Dieter dem letzten Ruhetag entgegen. An so
manche Brockenquerung beim HGL sind wir erinnert. Wir benutzen den neuen Autoübergang und laufen und fahren durch ein
großes Hochmoorgebiet. Hier gibt es Irritationen mit der Wegführung, die wir
nach längerer Beratung klären. Mit fallenden Höhenmetern wird das Wetter
besser. Dafür wird uns bei Neurehefeld wegen Straußenbauarbeiten ein Umweg
beschert.
Bald haben wir den neuen Radweg Bamberg – Zittau
erreicht. Er verläuft schnurgerade, aber es geht hoch und runter durch den
Wald, wie es sich für ein Gebirge gehört. Als wir den Wald verlassen, müssen
wir nach links und sehen bald Cämmerswalde vor uns liegen. Wie auch auf vielen
anderen Straßen und Wanderwegen der Tour nerven hier besonders die
Kilometerangaben, vor allem wenn die Zahl der noch zu laufenden Kilometer
steigt. Das Straßendorf zieht sich in
die Länge und in die Höhe. Fast nahtlos geht es über in Neuhausen. Hier folgen wir der Empfehlung
Einheimischer, den Waldweg steil bergauf nach Seiffen zu nehmen. Bodo muß
wieder in den Bus, dieses mal aber wegen einer Panne des Reifens vermutlich aus
der Frühzeit der Fahrradgeschichte.
Seiffen liegt zum Greifen nah. Noch einmal runter
und wieder hoch, und wir haben die Hauptstraße des Kurortes erreicht, an der
auch unsere Pension liegt. Hausnummer 4 hat Dieter aufgeschrieben, also geht es
2 km hinab bis in den Grund, zu dem es auf der Straße von Neuhausen näher
gewesen wäre. Schon außerhalb der durchgehenden Bebauung an der Hausnummer 4
angekommen, stellen wir ernüchternd fest, daß es hier unsere Pension nicht
gibt. Wir rufen dort an und müssen unseren Irrtum einsehen: richtig ist die
Nummer 181. Also wieder die 2 km bergauf zurück zum Ausgangspunkt, wo Ingrid
ihr verlorenes Handy beklagt. Dieter nimmt das Fahrrad und fährt bis zur
Hausnummer 4 zurück, Ausschau haltend nach dem Handy. Nach erfolgloser Rückkehr
findet Dieter das Handy wohlbehalten in der Lenkertasche. Erika und Ingrid
haben sich inzwischen auf dem Weg gemacht ins Quartier. Auf dem ebenfalls etwa
2 km langen Weg bergauf setzt zu allem Überdruß auch noch starker Regen ein.
Wir sind durchnäßt und geschafft, aber auch froh: der letzte Ruhetag liegt vor
uns.
Donnerstag, 30. September: Ruhetag in Seiffen
So wie der Vortag aufhörte, fängt der Ruhetag an:
Regen ohne Aussicht auf Wetterbesserung. Wir beginnen den Tag mit dem Besuch
des Freilichtmuseums, in dem uns die für Seiffen charakteristische
Reifendreherei vorgeführt wird. Wir sehen uns auch die Plumpsklos im
Obergeschoß der alten Bauernhäuser an, von denen die Exkremente direkt auf den
Misthaufen fielen, und die winzig kalte Steinhütte mitten im Wald, die dem
Köhler für Leben und Arbeit reichte.
Pünktlich wollen wir in der Kirche des Ortes sein
zur öffentlichen Führung durch das achteckige „Lichthaus“, das mit den
Korrende-Sängern obligatorischer Bestandteil
zahlloser Weihnachtspyramiden ist. Der Küster erzählt nicht nur von der
Baugeschichte und von der weihnachtlichen Stimmung, wenn die Kirche zum
Lichterhaus wird. Er erinnert auch an die Zeit vor der Wende, als es zwei Läden
gab mit erzgebirgischer Holzschnitzkunst, die zu 97 % in den Export ging und
nur einmal im Jahr der schlangestehenden Bevölkerung angeboten wurde. Damals
war Seiffen grau und schmucklos, heute farbig und hell, und Laden reiht sich an
Laden mit der berühmten Holzkunst dieser Region.
Unsere Grenzlauf-Urkunde erhält der Küster in
Ermanglung eines interessierten Bürgermeisters.
Freitag, 1. Oktober: Röhrende Hirsche auf dem Kamm
Seiffen – Kovarska, 46 km (Gesamt: 661 km)
Nur noch drei Etappen bis zum Ziel. Das werden wir
auch noch schaffen, aber es wird schwer. Bodo läuft heute wieder mit. In
Olbernhau haben wir Schwierigkeiten, den Radfernweg zu finden. Walter muß den
Umweg über Marienberg fahren, und wir diskutieren mangels eindeutiger
Markierung, wo es weiter geht. Wir entschließen uns zu einem asphaltierten Weg,
der auf dem Verkehrsschild die stattliche Steigung von 25 % ausweist, der Weg
führt uns tatsächlich dorthin, wohin wir wollen. Dieter hat Schwierigkeiten mit
der angeschwollenen Achillessehne. Bei jedem Schritt scheuert sie am Rand des
Schuhs. Zusammengefaltetes Zeitungspapier unter der problematischen Ferse
bringt die gewünschte Abhilfe.
Wieder führt der Radweg schnurgerade mit einigen
Steigungen durch den Wald und berührt eine beeindruckende Bachlandschaft der
Moothäuser Heide. Wir erreichen die Straße, die uns zum Grenzübergang Reitzenhain führt.
2 km müssen wir an der viel befahrenen Straße nach
Chomutov bleiben, bevor es nach rechts einen bergauf führenden Waldweg
weitergeht. Auf seiner Höhe sehen wir eine Ortschaft und wundern uns, daß der
Weg um den Ort herum geleitet wird. Ein späterer Blick auf die Karte zeigt den
Grund: es ist das deutsche Dorf Satzung, das in einem Grenzwinkel liegt.
Steigung folgt auf Steigung. Es scheint die Sonne
und wir bewegen uns bei 700 – 900 m
über die baumarme Hochfläche. Die Ruhe dieser Landschaft wird nur
unterbrochen vom Röhren der Hirsche.
Abwärts geht es zum Staussee Prisecnice. Später
werden wir erfahren, daß hier in den 70-er Jahren des vorigen Jh. die Stadt
Prisecnice (Preßnitz) geflutet wurde. Deren Bewohner wurden auf die umliegenden
Ortschaften verteilt. Auf dem Stauseedamm sehen wir links die gewaltige
Wasserfläche und rechts tief unten die Gemeinde Krystovy Hamry, die viele
Einwohner von Prisecnice aufgenommen hat.
Das Bergablaufen hat Dieters Knie nicht gut getan.
Erstaunlich, daß es sich so spät meldet, denn Beschwerden hatte er schon vor
Wochen. Die letzten 6 km werden zur Qual. Dieter hat alle Teamteilnehmer
vorausgeschickt, um rechtzeitig am Rathaus zu sein. So humpelt er dem Ziel
entgegen und schickt Walter, der
zurückgekommen ist, um ihn aufzunehmen, unverrichteter Weise wieder zurück. Bodo aber hat mit Erika
am Ortseingang auf Dieter gewartet. Gemeinsam geht’s sogar wieder laufend zum
Rathaus. Bürgermeisterin Alena Gebicova kann sich auf einen guten Dolmetscher
stützen: Rudolf Windisch, deutschgebürtiger Feuerwehrmann der Stadt. Im Rathaus
stehen Kaffee, Gebäck und Obst bereit, aber nur für uns, denn unsere Gesprächspartner
rühren nichts an.
Wieder stehen Chancen im Zusammenleben mit der
anderen Seite im Mittelpunkt unseres Gesprächs. Als wir uns verabschieden,
erfahren wir, daß unsere Pension nicht zur Verfügung steht, weil die Wirtin ins
Krankenhaus mußte. Die Bürgermeisterin und ihre Tochter organisieren uns einen
schönen Ersatz in einer nagelneuen Hotelpension.
Am Abend erhalten wir für den Rest des Grenzlaufs
tatkräftige Unterstützung. Ingrids und Dieters Tochter Marion mit Ehemann
Thomas sind aus Celle zu uns gestoßen, um uns als 4. Fanclub auf den letzten
beiden Etappen als Läufer und als Autofahrerin zu begleiten.
Sonnabend, 2. Oktober: Hoch auf 1000 m
Kovarska – Johanngeorgenstadt, 32 km (Gesamt: 693 km)
Heute haben mit Bodo, Thomas Hahn und Dieter die
Läufer gleichgezogen mit der Zahl der Fahrradfahrer. Das letzte Mal werden wir
von Schulkindern bis zum Stadtrand begleitet. Unsere Etappe haben wir auf
Vorschlag von Rudolf Windisch gründlich geändert. Unseren alten Plan geben wir
auf, von Kovarska nach Bozy Dar zu laufen und auf deutscher Seite weiter über
Tellerhäuser zum Etappenziel, weil wir damit dem Massiv des Klinovec entgehen
und zum anderen die Kammlandschaft auf tschechischer Seite erleben können. Wir
wechseln also die Richtung am Grenzübergang.
Die Sonne scheint, aber über den Gipfeln von
Klinovec und Fichtelberg ziehen Wolken auf. Die Grenze ist nicht weit, aber es
geht von etwa 900 m hinunter auf 600 m. Wir benutzen den Übergang bei Cesky
Hamry und laufen auf der Chaussee weiter, die nach Oberwiesenthal führt. Wären
wir doch noch auf tschechischer Seite geblieben auf ruhigeren Wegen! Aber so
müssen wir wieder den Kampf mit den Autokolonnen aufnehmen. Wir laufen parallel
zur Grenze und um Oberwiesenthal herum.
Dort beginnt der lange Anstieg hinauf zum Grenzübergang Bozy Dar in über 1000 m
Höhe. Die Sonne hat sich längst verkrochen. Schier endlos zieht sich die
Serpentine nach oben, Thomas riskiert einen Wanderweg, der auch nach oben
führen soll, aber Dieter und Bodo ziehen
die sicherere Straße vor. Es wird nebliger, nieseliger und kälter. Kurz
vor dem Grenzübergang hat sich Thomas wieder dazu gesellt voller Genugtuung
über seine richtige Wegentscheidung. Gemeinsam warten sie bei Temperaturen um 0
º C auf die Radfahrer, die die Ausweise bei sich tragen. Wieder vereint geht es
weiter nach Bozy Dar. Walter allerdings muß mit seinem Bus die Straße nehmen
über Tellerhäuser, die wir ursprünglich laufen wollten.
In Bozy Dar biegen wir nach rechts ab und sind bald
in der Ruhe der Hochfläche. Erstaunlich viele Radfahrer sind hier oben trotz
Kälte und Nebel unterwegs. Wieder röhrende Hirsche, die für einen Augenblick
aus dem Dunst auftauchen. Wir bereuen unsere Streckenänderung keineswegs.
Ansiedlungen gibt es hier oben nicht, nur vereinzelte Gehöfte wie bei Ryzovna,
wo der stark abfallende Weg zur Grenze bei Potucky beginnt. Der Wald wird
wieder dichter und die Luft wird klar. Aber es bleibt kalt. Das empfinden die
Radfahrer, die die Räder jetzt rollen lassen können und deshalb ihre
Betriebstemperatur verlieren, jetzt trotz Handschuhen besonders unangenehm.
In Potucky erwartet uns ein riesiger Grenzmarkt, im
Gegensatz zu den polnischen, die von Polen betrieben werden, vietnamesisch
geprägt. Johanngeorgenstadt konnten wir schon von weitem sehen, wir wußten
allerdings nicht, daß unser Weg erst einmal ins tiefe Tal führt und auf der
anderen Seite wieder hinauf. Das Ziel schon nahe sehend, ist solche Tatsache
schwer in den Kopf und in die Beine zu bekommen.
Wir suchen vergeblich das Stadtzentrum. Es gibt
keins, wie wir später feststellen müssen. Johanngeorgenstadt ist ein Anwesen,
das aus vielen Siedlungen besteht und auf der Höhe als sozialistische Stadt
vorgesehen war. Diesem Plan zuliebe mußte die Altstadt verschwinden unter dem
Vorwand, daß sie vom Bergbau unterhöhlt sei. So hinterläßt das Stadtbild bei
uns einen sehr trostlosen Eindruck. Ein kleiner Hoffnungsschimmer ist die
Kirche in der ehemaligen Altstadt, die zur Zeit mit Fundamentssanierung gegen
drohende Erdbewegungen gesichert wird.
Auf dem sogenannten Markt tut sich nichts, wir
fahren in das nahegelegene Gästehaus am Erzgebirgskamm, das früher dem
Leistungssport diente und heute von einem bayrischen Professor zum
medizinischen Kongreßzentrum umfunktioniert wird. Überall im Haus stoßen wir
auf Relikte aus sozialistischer Zeit, so auch auf eine Wanderkarte der Gegend,
die das benachbarte sozialistische Freundesland als weiße Fläche zur geheimen
Verschlußsache erklärt.
Sonntag, 3.
Oktober: Volksfest am Dreiländereck
Johanngeorgenstadt – Dreiländereck, 36 km (Gesamt: 729 km)
Beim Frühstück kommt Bürgermeister Holger Hascheck
zu uns. Er möchte uns verabschieden. Wir erzählen ihm, daß wir freie Logis
hatten und der Stadt für einen guten Zweck unsere nicht bezahlten
Übernachtungskosten spenden wollen. Hocherfreut nennt uns der Bürgermeister die
Musikschule als bedürftigen Adressaten der Spende über 160 € .
Unsere letzte Etappe beginnt. Am Vortag erhalten wir
von Friedrich Frenzel, der das Geschehen im Dreiländereck organisiert, die
telefonische Information, daß der Bürgermeister von Klingenthal uns unbedingt
empfangen möchte. Der Stopp in die Stadt der Musikinstrumente und des
Skispringens auf der legendären Aschbergschanze ist nicht eingeplant, der
Empfang dafür herzlich. Wir werden von Bürgermeister Reiner Schneidenbach ins
Rathaus gebeten, bewundern die Skisprungerfolge der Stadt beginnend mit Harry
Glaß, und reden lange miteinander, länger jedenfalls, als es unser Zeitfonds
bis zum Dreiländereck zuläßt. Dort dürfen wir auf keinen Fall zu spät ankommen.
Wir beschließen also, die Strecke abzukürzen und
beginnen unsere letzte Teilstrecke hinter
Markneukirchen. Dort in der Nähe des Bismarckturms finden wir aber wegen
Bauarbeiten nicht den auf der Karte markierten Weg und machen einen Umweg über
Schönlind und Strässel nach Adorf. Dort
wartet die nächste Überraschung: eine Radfahrergruppe mit der Adorfer
Bürgermeisterin Mariechen Bang an der Spitze will mit uns zum Dreiländereck.
Anstiege und Abstiege halten uns die Treue. In
Gettengrün ein Hinweisschild, daß hier 1903 „e. o. plauen“ als Erich Ohser
geboren wurde, der als Zeichner der Vater-und-Sohn-Cartoons bekannt geworden
ist und schon 1944 in Berlin starb.
Noch einmal geht es bergauf nach Ebmath zum
deutsch-tschechischen Grenzübergang für Fußgänger und Reiter. Hier erwartet uns
ein großes Aufgebot. Die Bürgermeister František Jurcák aus dem nahen
Hranice und Karlheinz Penzel aus Eichigt wollen mitlaufen, ein Hamburger Läufer
ebenfalls, aber noch kommt es nicht dazu. Friedrich Frenzel, den wir endlich
persönlich kennenlernen können, muß erst noch durch den Bürgermeister von
Hranice dafür sorgen lassen, daß die auf uns am Dreiländereck wartenden
Menschen endlich zum tschechischen Bier und Imbiß kommen. Beides sollten längst
auf dem Festplatz sein.
Endlich können wir starten. Es sind nur noch wenige
Kilometer, die letzten enden querfeldein über eine Wiese und auf dem
Kolonnenweg, unmittelbar entlang der ehemaligen innerdeutschen Grenze. Über den
betonierten Kraftfahrzeugsperrgraben hinweg müssen wir den Radfahrern hilfreich
zur Seite stehen. Aus dem vor uns liegenden Waldstück hören wir Musik und die
Lautsprecheransage: „sie kommen“. Die EU - Hymne ertönt, und unter dem Beifall
von etwa 200 Menschen laufen wir von Sachsen kommend über Franken noch ein paar
Stufen hinauf zum Festplatz auf tschechischem Territorium. Aber hier fragt
heute keiner nach Ländergrenzen.
Das Mikrofon steht bereit, Friedrich Frenzel begrüßt
uns. Ihm schließen sich Grußworte aller anwesenden Bürgermeister der zur
tschechisch-deutschen Vereinigung „Freunde im Herzen Europas“ gehörenden
Ortschaften an. So spricht auch der Bürgermeister von Hranice František Jurčák, der mit uns gelaufen ist, der 1. Bürgermeister von Aš, Magister
Dalibor Blažek, dessen Worte sein 2.
Bürgermeister Jiří Knedlík übersetzt, sowie die
Oberbürgermeisterin der Großen Kreisstadt Oelsnitz Eva-Maria Möbius als
Mitinitiatorin des Vereins. Auch Manfred Meißner aus dem fränkischen Regnitzlosau
geht in Vertretung seines Bürgermeisters ans Mikrofon. Er hatte Dieter auf den
letzte 25 km seines 1. Grenzlaufes bis zum gleichen Ziel begleitet. Als
Vertreter des Vogtlandkreises ist der Vorsitzende der Euregio Egrensis,
Arbeitsgemeinschaft Erzgebirge – Vogtland, Achim Schulz, gekommen. Drei
Kapellen musizieren auf dem Festplatz: der Posaunenchor der evangelischen
Kirchgemeinde Eichigt, die „Harmonika-Sperken“ ( = Spatzen) der Oelsnitzer
Musikschule Fröhlich und das „Erste Freie Fränkische Bierorchester“ aus
Regnitzlosau. Sie umrahmen die Grußworte mit den Hymnen der Anliegerorte, dem
Frankenlied für Regnitzlosau, der Vogtlandhymne vom „Vugelbeerbaam“ für
Eichigt, Ortsteil Pabstleihen und „Aus Böhmen kommt die Musik“ für Hranice.
Der Eichigter Bürgermeister Karl-Heinz Penzel sorgt
für Heiterkeit: er wollte auch mitlaufen, aber konnte den Anschluß nicht
halten, weil der tschechische Bürgermeister los spurtete und wohl einen
Wettkampf vor sich sah. Karlheinz Penzel aber wollte „laufen und nicht rennen“.
Er spazierte mit dem Eichigter Sportchef Roland Joram, der sich trotzdem die
Füße wund gelaufen hat, durch die Gegend und steht nun auf dem Keller der
ehemaligen Gaststätte „Hofmanns Mühle“. Sie hatten einen kürzeren Weg über
tschechisches Territorium gewählt. Unter dem Beifall der Besucher müssen sie
nun den rutschigen steilen Hang hinab zum Festplatz klettern. So passierte es,
daß – sehr zur Belustigung der Anwesenden – der tschechische Bürgermeister von
Deutschland und der deutsche Bürgermeister von Tschechien her auf dem Festplatz
ankamen.
Verspätet, weil er auch an diesem Tag viele
kirchlichen Pflichten hatte, kommt der Pfarrer von Aš und Hranice Pavel Kučera.
Er spricht einfach und schlicht in verständlichem Deutsch, entschuldigt sich
für seine Verspätung, und beeindruckt uns mit seiner Bescheidenheit sehr.
Langsam leeren sich die Tische, das Bier und die
gegrillten Makrelen sind restlos getrunken und gegessen, wir sitzen noch lange
im engeren Kreis und versprechen, wiederzukommen in diese schöne Gegend, die
uns zu einem unvergesslichen Ziel unseres Unternehmens wurde. Uns wurde ein Empfang bereitet, den wir wohl alle in
Erinnerung bewahren werden.
Wir sagen ein großes Dankeschön
den Prominenten und Akteuren am Dreiländereck Böhmen
– Bayern – Sachsen:
-
vom Landratsamt des
Vogtlandkreises dem Chef der Euregio Egrensis, Arbeitsgemeinschaft
Erzgebirge-Vogtland, Plauen Achim Schulz (http://boerse.vogtlandkreis.de/euregio).
-
von der
tschechisch-deutschen Vereinigung „Freunde im Herzen Europas“ den Bürgermeistern
o
Stadt Asch: 1.
Bürgermeister Magister Dalibor Blažek; 2. Bürgermeister Jiří
Knedlík;
o
Große Kreisstadt
Oelsnitz (Vogtl.): Oberbürgermeisterin Eva-Maria Möbius;
o
Stadt Hranice:
Bürgermeister František Jurčák;
o
Stadt Adorf:
Bürgermeisterin Mariechen Bang;
o
Gemeinde Triebel:
Bürgermeisterin Ilona Groß;
o
Gemeinde
Regnitzlosau: Gerhardt Schillers Vertretung Manfred Meissner
o
Gemeinde Eichigt:
Bürgermeister Karlheinz Penzel;
-
dem Pfarrer von
Eichigt: Joachim Kaiser; dem evangelischen Pfarrer von Asch und Hranice: Pavel Kučera; dem Übersetzer auf dem Fahrrad, dem Deutsch-Tschechen René
Wölfel aus Hranice;
-
dem "1. Freien
Fränkischen Bierorchesters Regnitzlosau" unter Leitung von Erwin
Lipsky, den "Harmonika-Sperken" Oelsnitz unter Leitung von Frau
Heinze, dem Posaunenchor Eichigt unter Leitung
von Sabine Kaiser;
-
die Beschallung
besorgte der Sohn des Eichigter Pfarrers Nathanael Kaiser mit Strom von der
Freiwilligen Feuerwehr Tiefenbrunn-Pabstleithen (OT von Eichigt);
-
die Organisation
erfolgte im Auftrag des Bürgermeisters der Gemeinde Eichigt Karlheinz Penzel
für die Anliegerorte des Dreiländerecks im Rahmen der „Freunde im Herzen Europas“ in Zusammenarbeit mit dem
Bürgermeister der Stadt Hranice František Jurčák und dem Mitarbeiter der Stadt Hranice Petr Valda durch den
ehrenamtlichen Mitarbeiter und Webmaster der Gemeinde Eichigt Friedrich Frenzel
(www.Eichigt.de).
Ausklang
Die
kommunale Prominenz und die Einwohner aus der Umgebung haben den Platz
verlassen, die Musikanten haben ihre Instrumente eingepackt bzw. sind auf
ihnen musizierend von dannen gezogen,
die letzten Biertisch-Garnituren sind zusammengelegt. Wir sind mit Friedrich
Frenzel und Eichigts Bürgermeister Karlheinz Penzel allein. Auch wir
verabschieden uns von unserem Zielort, auf den wir monatelang hin organisiert,
wochenlang zu gelaufen und auf dem wir stundenlang gefeiert haben.
Auf
der kurzen Fahrt in das nahegelegene Quartier halten die vor uns fahrenden
- Karlheinz Penzel und Friedrich
Frenzel - an. Am Wegrand sind Tafeln aufgestellt, die an eine ungeheuerliche
Begleiterscheinung des Mauerbaus der
ehemaligen DDR erinnern. Um freies Sicht- und Schußfeld zu bekommen, wurde hier
fast die ganze ehemalige Gemeinde Pabstleithen dem Erdboden gleichgemacht. Im
wörtlichen Sinn ist heute darüber Gras gewachsen, so daß ein landschaftlich idyllischer
Ort entstanden ist, der die Vergangenheit vergessen ließe, wenn da nicht der
seitdem in Oelsnitz (Vogtland) wohnende Eberhard Wunderlich dort, wo früher mal
sein Wohnhaus stand, Gedenktafeln aufgestellt hätte. Unseren Vorschlag, die
Standorte der geschleiften Häuser zu kennzeichnen und so die Informationen auf
den Tafeln durch die optische Wirkung zu ergänzen, halten unsere Begleiter für
überlegenswert.
Zur
Pension Fröschel ist es nicht weit. Die Wirtin Barbara Klemm hat das Letzte aus dem Haus heraus geholt,
um uns acht unterzubringen. Übernachtungsmöglichkeiten sind in der Gegend rar.
Der Nachmittag ist schon sehr vorangeschritten, so daß wenig Zeit bleibt für
Duschen und Umziehen, bevor uns Karlheinz Penzel und Friedrich Frenzel zum
Abendessen in dem kleinen tschechischen Familienrestaurant der Penkavs gleich
hinter dem Grenzübergang bei Ebmath abholen. Mit ihnen lassen wir einen großen
Tag ausklingen.
Noch
einmal ist Aufbruch angesagt, aber nun nicht mehr zum nächsten Etappenziel.
Unser Team verkleinert sich bereits bei unserer Abfahrt, denn Thomas
verabschiedet sich schon an der Pension, weil er von Hof aus mit der Bahn
direkt nach Bremen fahren will. Den großen Rest aber fährt Walter wohlbehalten
nach Schwerin. Zuvor zeigt uns Friedrich Frenzel mit Sachkenntnis und auch ein
wenig Stolz sein Dorf Eichigt mit der Körnerlinde und die Umgebung. Bis nach
Oelsnitz fährt er uns voraus und erklärt uns
noch über sein Handy die Gegend.
Am
Nachmittag sind wir wieder in Schwerin. Am Immensoll wird uns ein unerwarteter
Empfang bereitet. Quer über die Eingangstreppe ist ein Transparent gespannt:
„Herzlichen Glückwunsch Ihr Grenzläufer“, gemalt von Johannes aus Kämmlers
Kinderschar. Wir müssen das Band durchschneiden, bevor wir in die Wohndiele
gelangen können, wo uns ein Riesenbüfett mit Torte, Zwiebelkuchen, Sekt und
Bier erwartet. Schwarz-Lineks sind gekommen, der Fan-Club ist außerdem mit
Birgit und Friedel Winkels vertreten und Barthels Tochter Susanne ist
selbstredend als Hauptorganisatorin des Empfangs mit ihren vier Kindern Felix,
Jakob, Johannes und Mattis dabei. Nach
dem großen Bahnhof am Dreiländereck folgt hier das herzliche Willkommen im
Kreis der engsten Verwandten und Bekannten.
Doch
auch das offizielle Schwerin will uns willkommen heißen. Am nächsten Morgen
empfängt uns im Amtszimmer des Oberbürgermeisters der Stellvertretende
Oberbürgermeister Wolfgang Schmülling. Er ist auch Hobbyläufer und kann deshalb
das geleistete Laufpensum der Grenzläufer entsprechend würdigen. Mit Wolfgang
Schmülling und dem Kreisvorsitzenden des Europa-Union e.V. Dieter Brusch kommen
die Grenzläufer in ein angeregtes Gespräch über Laufkilometer, über die
unterschiedliche Resonanz, die der Grenzlauf unterwegs hatte und über Chancen
und Probleme der EU-Erweiterung für Deutschland und seine östlichen Nachbarn.
Erika,
Bodo und Walter treten die Heimreise nach Schladen und Braunschweig an. Der
Grenzlauf 2004 „Willkommen in der Europäischen Union“ hat seinen würdigen
Abschluß gefunden.
Sonntag, 3. Oktober: Volksfest am Dreiländereck
Johanngeorgenstadt – Dreiländereck, 36 km (Gesamt: 729 km)
Beim Frühstück kommt Bürgermeister Holger Hascheck
zu uns. Er möchte uns verabschieden. Wir erzählen ihm, daß wir freie Logis
hatten und der Stadt für einen guten Zweck unsere nicht bezahlten
Übernachtungskosten spenden wollen. Hocherfreut nennt uns der Bürgermeister die
Musikschule als bedürftigen Adressaten der Spende über 160 € .
Sonntag, 3. Oktober: Volksfest am Dreiländereck
Johanngeorgenstadt – Dreiländereck, 36 km (Gesamt: 729 km)
Beim Frühstück kommt Bürgermeister Holger Hascheck
zu uns. Er möchte uns verabschieden. Wir erzählen ihm, daß wir freie Logis
hatten und der Stadt für einen guten Zweck unsere nicht bezahlten
Übernachtungskosten spenden wollen. Hocherfreut nennt uns der Bürgermeister die
Musikschule als bedürftigen Adressaten der Spende über 160 € .
Unsere letzte Etappe beginnt. Am Vortag erhalten wir
von Friedrich Frenzel, der das Geschehen im Dreiländereck organisiert, die
telefonische Information, daß der Bürgermeister von Klingenthal uns unbedingt
empfangen möchte. Der Stopp in die Stadt der Musikinstrumente und des
Skispringens auf der legendären Aschbergschanze ist nicht eingeplant, der
Empfang dafür herzlich. Wir werden von Bürgermeister Reiner Schneidenbach ins
Rathaus gebeten, bewundern die Skisprungerfolge der Stadt beginnend bei Harry
Glaß, und reden lange miteinander, länger jedenfalls, als es unser Zeitfonds
bis zum Dreiländereck zuläßt. Dort dürfen wir auf keinen Fall zu spät ankommen.
Wir beschließen also, die Strecke abzukürzen und
beginnen unsere letzte Teilstrecke hinter
Markneukirchen. Dort in der Nähe des Bismarckturms finden wir aber wegen
Bauarbeiten nicht den auf der Karte markierten Weg und machen einen Umweg über
Schönlind und Strässel nach Adorf. Dort
wartet die nächste Überraschung: eine Radfahrergruppe mit der Adorfer
Bürgermeisterin Mariechen Bang an der Spitze will mit uns zum Dreiländereck.
Anstiege und Abstiege halten uns die Treue. In
Gettengrün ein Hinweisschild, daß hier 1903 „e. o. plauen“ als Erich Ohser
geboren wurde, der als Zeichner der Vater-und-Sohn-Cartoons bekannt geworden
ist und sich 1944 das Leben nahm Stunden vor Beginn des Prozesses gegen ihn am
„berüchtigten „Volksgerichtshof“.
Noch einmal geht es bergauf nach Ebmath zum
deutsch-tschechischen Grenzübergang für Fußgänger und Reiter. Hier erwartet uns
ein großes Aufgebot. Die Bürgermeister František Jurčák aus dem nahen
Hranice und Karlheinz Penzel aus Eichigt wollen mitlaufen, ein Hamburger Läufer
ebenfalls, aber noch kommt es nicht dazu. Friedrich Frenzel, den wir endlich
persönlich kennenlernen können, muß erst noch durch den Bürgermeister von Hranice
dafür sorgen lassen, daß die auf uns am Dreiländereck wartenden Menschen
endlich zum tschechischen Bier und Imbiß kommen. Die sollten längst auf dem
Festplatz sein.
Endlich können wir starten. Es sind nur noch wenige
Kilometer, die letzten enden querfeldein über eine Wiese und auf dem
Kolonnenweg, unmittelbar entlang der Grenze. Über den betonierten
Kraftfahrzeugsperrgraben hinweg müssen wir den Radfahrern hilfreich zur Seite
stehen. Aus dem vor uns liegenden Waldstück hören wir Musik und die Lautsprecheransage:
„sie kommen“. Die EU-Hymne ertönt, und unter dem Beifall von etwa 200 Menschen
laufen wir von Sachsen kommend über Franken noch ein paar Stufen hinauf zum
Festplatz auf tschechischem Territorium. Aber hier fragt heute keiner nach
Ländergrenzen.
Das Mikrofon steht bereit, Friedrich Frenzel begrüßt
uns. Ihm schließen sich Grußworte aller anwesenden Bürgermeister der zur
tschechisch-deutschen Vereinigung „Freunde im Herzen Europas“ gehörenden
Ortschaften an. So spricht auch der Bürgermeister von Hranice František Jurčák, der mit uns gelaufen ist, der 1. Bürgermeister von Aš, Magister
Dalibor Blažek, dessen Worte sein 2.
Bürgermeister Jiří Knedlík übersetzt sowie die
Oberbürgermeisterin der Großen Kreisstadt Oelsnitz Eva-Maria Möbius als
Mitinitiatorin des Vereins. Auch Manfred Meißner aus dem fränkischen
Regnitzlosau geht in Vertretung seines Bürgermeisters ans Mikrofon. Er hatte
Dieter auf den letzte 25 km seines 1. Grenzlaufes bis zum gleichen Ziel
begleitet. Als Vertreter des Vogtlandkreises ist der Vorsitzende der Euregio
Egrensis, Arbeitsgemeinschaft Erzgebirge – Vogtland, Achim Schulz, gekommen.
Drei Kapellen musizieren auf dem Festplatz: der Posaunenchor der evangelischen
Kirchgemeinde Eichigt, die „Harmonika-Sperken“ ( = Spatzen) der Oelsnitzer Musikschule
Fröhlich und das „Erste Freie Fränkische Bierorchester“ aus Regnitzlosau. Sie
umrahmen jetzt die Grußworte mit den Hymnen der Anliegerorte, dem Frankenlied
für Regnitzlosau, der Vogtlandhymne vom „Vugelbeerbaam“ für Eichigt, Ortsteil
Pabstleihen und „Aus Böhmen kommt die Musik“ für Hranice.
Der Eichigter Bürgermeister Karl-Heinz Penzel sorgt
für Heiterkeit: er wollte auch mitlaufen, aber konnte den Anschluß nicht
halten, weil der tschechische Bürgermeister los spurtete und wohl einen
Wettkampf vor sich sah. Karlheinz Penzel aber wollte „laufen und nicht rennen“.
Er spazierte mit dem Eichigter Sportchef Roland Joram, der sich trotzdem die
Füße wund gelaufen hat, durch die Gegend und steht nun auf dem Keller der
ehemaligen Gaststätte „Hofmanns Mühle“. Sie hatten einen kürzeren Weg über
tschechisches Territorium gewählt. Unter Beifall der Besucher müssen sie nun
den rutschigen steilen Hang hinab zum Festplatz klettern. So passierte es,
daß – sehr zur Belustigung der Anwesenden – der
tschechische Bürgermeister von Deutschland und der deutsche Bürgermeister von
Tschechien her auf dem Festplatz ankam.
Verspätet, weil er auch an diesem Tag viele
kirchlichen Pflichten hatte, kommt der Pfarrer von Aš und Hranice Pavel Kučera.
Er spricht einfach und schlicht in verständlichem Deutsch, entschuldigt sich
für seine Verspätung, und beeindruckt uns mit seiner Bescheidenheit sehr.
Langsam leeren sich die Tische, das Bier und die gegrillten Makrelen sind restlos getrunken und gegessen, wir sitzen noch lange im engeren Kreis und versprechen, wiederzukommen in diese schöne Gegend, die uns zu einem unvergesslichen Ziel unseres Unternehmens wurde. Uns wurde ein Empfang bereitet, den wir wohl alle in Erinnerung bewahren werden.
Wir sagen ein großes Dankeschön
den Prominenten und Akteuren am Dreiländereck:
Böhmen – Bayern – Sachsen:
-
Vom Landratsamt des
Vogtlandkreises dem Chef der Euregio Egrensis, Arbeitsgemeinschaft
Erzgebirge-Vogtland, Plauen Achim Schulz (http://boerse.vogtlandkreis.de/euregio).
-
Von der
tschechisch-deutschen Vereinigung „Freunde im Herzen Europas“ die Bürgermeister
von
o
Asch: 1.
Bürgermeister Magister Dalibor Blažek; 2. Bürgermeister Jirí
Knedlík;
o
Oelsnitz (Vogtl.):
Oberbürgermeisterin Eva-Maria Möbius;
o
Hranice:
Bürgermeister František Jurcák ;
o
Adorf:
Bürgermeisterin Mariechen Bang;
o
Triebel:
Bürgermeisterin Ilona Groß;
o
Regnitzlosau: Manfred
Meissner in Vertretung von Bürgermeister Gerhardt Schiller
o
Eichigt:
Bürgermeister Karlheinz Penzel;
-
Dem Pfarrer von
Eichigt: Joachim Kaiser; dem evangelische Pfarrer von Asch und Hranice: Pavel Kučera; der Übersetzer mit dem Fahrrad war der Deutsch-Tscheche
René Wölfel aus Hranice
-
Den Musikgruppen: die
Leitung des "1. Freien Fränkischen Bierorchesters Regnitzlosau" hatte
Erwin Lipsky, die Leitung der "Harmonika-Sperken" Oelsnitz hat Frau
Heinze, der Posaunenchor Eichigt wird von Sabine Kaiser geleitet;
-
die Beschallung
besorgte der Sohn des Eichigter Pfarrers Nathanael Kaiser mit Strom von der
Freiwilligen Feuerwehr Tiefenbrunn (OT von Eichigt);
-
die Organisation
erfolgte im Auftrag des Bürgermeisters der Gemeinde Eichigt Karlheinz Penzel
für die Anliegerorte des Dreiländerecks im Rahmen der „Freunde im Herzen Europas“ in Zusammenarbeit mit dem
Bürgermeister der Stadt Hranice František Jurčák und dem Mitarbeiter der Stadt Hranice Petr Valda durch den
ehrenamtlichen Mitarbeiter und Webmaster der Gemeinde Eichigt Friedrich Frenzel
(www.Eichigt.de).
Ausklang
Die kommunale Prominenz und die Einwohner aus der
Umgebung sind gegangen, die Musikanten haben ihre Instrumente eingepackt bzw.
sind auf ihnen musizierend von dannen
gezogen, die letzten Biertisch-Garnituren sind zusammengelegt. Wir sind mit
Friedrich Frenzel und Eichigts Bürgermeister Karlheinz Penzel allein. Auch wir
verabschieden uns von unserem Zielort, auf den wir monatelang hin organisiert,
wochenlang zu gelaufen und auf dem wir stundenlang gefeiert haben.
Auf der kurzen Rückfahrt halten der vor uns fahrende
Friedrich Frenzel und Karlheinz Penzel an. Am Wegrand sind Tafeln aufgestellt,
die an eine ungeheuerliche Begleiterscheinung des Mauerbaus erinnern. Um freies
Sicht- und Schußfeld zu bekommen, wurde hier eine kleine Siedlung dem Erdboden
gleichgemacht. Im wörtlichen Sinn ist heute darüber Gras gewachsen, so daß ein
landschaftlich idyllischer Ort entstanden ist, der die Vergangenheit vergessen
ließe, wenn da nicht die Tafeln wären. Unseren Vorschlag, die Standorte der
geschleiften Häuser zu kennzeichnen und so die Informationen auf den Tafeln
durch die optische Wirkung zu ergänzen, halten unsere Begleiter für
überlegenswert.
Zur Pension Fröschel ist es nicht weit. Die Wirtin
hat das letzte aus dem Haus heraus geholt, um uns acht unterzubringen.
Übernachtungsmöglichkeiten sind in der Gegend rar. Der Nachmittag ist schon
sehr vorangeschritten, so daß wenig Zeit bleibt für Duschen und Umziehen, bevor
uns Friedrich Frenzel abholt zum Abendessen in der tschechischen Gaststätte
gleich hinter dem Grenzübergang bei Ebmath. Mit ihm und Karlheinz Penzel lassen
wir einen großen Tag ausklingen.
Noch einmal ist Aufbruch, aber nun nicht mehr zum
nächsten Etappenziel. Unser Team verkleinert sich bereits bei unserer Abfahrt,
denn Thomas verabschiedet sich schon an der Pension, weil er von Hof mit der
Bahn direkt nach Bremen fahren will. Den großen Rest aber fährt Walter
wohlbehalten nach Schwerin. Zuvor aber zeigt uns Friedrich Frenzel mit
Sachkenntnis und auch ein wenig Stolz sein Dorf Eichigt mit der Körnerlinde und
die Umgebung mit dem Eichigter Loch. Bis nach Oelsnitz fährt er uns voraus und
erklärt uns über Handy die Gegend.
Am Nachmittag sind wir wieder in Schwerin. Am
Immensoll wird uns ein unerwarteter Empfang bereitet. Quer über die
Eingangstreppe ist ein Transparent gespannt: „Herzlichen Glückwunsch Ihr
Grenzläufer“, gemalt von Johannes aus Kämmlers Kinderschar. Wir müssen das Band
durchschneiden, bevor wir in die Wohndiele gelangen können, wo uns ein
Riesenbüffett erwartet mit Torte, Zwiebelkuchen, Sekt und Bier. Schwarz-Lineks
sind gekommen, der Fanclub ist außerdem mit Birgit und Friedel Winkels
vertreten, und Barthels Tochter Susanne ist selbstredend als Hauptorganisatorin
des Empfangs mit ihren vier Kindern Felix, Jakob, Johannes und Mattis
dabei. Nach dem großen Bahnhof am
Dreiländereck folgt hier das herzliche Willkommen im Kreis der engsten
Verwandten und Freunde.
Doch auch das offizielle Schwerin will uns
willkommen heißen. Am nächsten Morgen empfängt uns im Amtszimmer des
Oberbürgermeisters der Stellvertretende Oberbürgermeister Wolfgang Schmülling.
Er ist auch Hobbyläufer und kann deshalb das geleistete Laufpensum der
Grenzläufer entsprechend würdigen. Mit Wolfgang Schmülling und dem
Kreisvorsitzenden des Europa-Union e.V. Dieter Brusch kommen die Grenzläufer in
ein angeregtes Gespräch über Laufkilometer, über die unterschiedliche Resonanz,
die der Grenzlauf unterwegs hatte und über Chancen und Probleme der EU -
Erweiterung für Deutschland und seine östlichen Nachbarn.
Erika, Bodo und Walter treten die Heimreise an nach
Schladen und Braunschweig. Der Grenzlauf 2004 „Willkommen in der Europäischen
Union“ hat seinen würdigen Abschluß gefunden.
Die Sicht des Autofahrers
Von Bodo, mit dem ich viele Skivolksläufe in der
Welt absolviert habe, erfuhr ich vom Unternehmen Grenzlauf. Er überzeugte mich,
als Besenwagenfahrer teilzunehmen. Meine Frau Marlies war überhaupt nicht
begeistert, daß man sich mit 72 Jahren solchen Strapazen aussetzen sollte.
Außerdem waren wir in 52 Ehejahren noch nie drei Wochen getrennt. Außerdem
entstanden bei dieser privaten Aktion erhebliche finanzielle Kosten.
Aber die Sache reizte mich doch sehr, und ich sagte
zu.
Zu meinen Aufgaben gehörte neben der Fahrerei die
Versorgung der Gruppe, die Verwaltung der Gemeinschaftskasse, der Einkauf von Getränken und anderen
gewünschten Produkten. Mit der Kamera hatte ich wenig Glück. Ich hatte noch nie
eine in den Händen und vergaß häufig die Kamera abzustellen. Statt
Laufgeschehen sind deshalb Straßenpflaster und meine eigenen Füße mehr als
reichlich auf dem Film zu sehen.
Jeden Abend wurde die Strecke des nächsten Tages
besprochen. Da die Gruppe oft Wanderwege benutzte, wurden die Punkte
festgelegt, an denen wir uns treffen. Über Handy verständigten wir uns, wenn
wir uns verfehlten. Je nach Situation fuhr ich zum Ziel voraus, um schon einmal
Kontakte mit dem Bürgermeister oder der Presse aufzunehmen. Wir hatten im
voraus unsere Ankunftszeiten mitgeteilt, die sich aber nach Lage der Dinge oft
änderten. Dort und bei vielen Streckenstopps hatte ich viele Kontakte mit
Menschen beiderseits der Grenze. Ohne ein Wort polnisch oder tschechisch zu
sprechen, gelang die Verständigung über unser Anliegen mit Gesten und mit Hilfe
unseres dreisprachigen Streckenplans, der an den Fenstern des Autos hing.
Guten Kontakt hatte ich auch zum Bundesgrenzschutz.
Oft wartete ich an den Grenzübergängen auf die Gruppe und nutzte die Zeit für
Gespräche mit den BGS-Beamten. So wurde die Gruppe oft freundlich empfangen, einmal
so gar mit dem Fotoapparat, um ein Foto zu schießen für die BGS-Zeitung.
Als begeisterter Wintersportler war für mich der
Empfang beim Klingenthaler Bürgermeister etwas besonderes. Im Foyer des
Rathauses waren auf Fotos die vielen Weltmeister und erfolgreichen
Olympiateilnehmer verewigt, unter ihnen auch Ditmar Klauser, der Sieger eines
Wasa-Laufs in Schweden, den ich selbst zwölfmal gelaufen bin.
Höhepunkt war für uns alle der Empfang an unserem
Ziel Dreiländereck. Spätestens hier war mir klar geworden, daß ich eins meiner
größten Abenteuer beendete, das sich in meinem Gedächtnis einprägen wird, und
das für eine so schöne Sache wie die Verständigung zwischen den Völkern, denen
unser Grenzlauf galt.
Walter Kagelmann
Sechs unterschiedliche Charaktere, die das
Arbeitsleben hinter sich gelassen haben, waren drei Wochen gemeinsam unterwegs.
Sie, die sich von gelegentlichen Begegnungen kannten oder auch noch gar nicht
kannten, haben diese drei Wochen gemeinsam gelebt und gemeinsames erlebt. Sie
sind in dieser Zeit ein Team gewesen, zu dem sie ein gemeinsames Ziel verbunden
hat. Ohne dieses Zusammengehörigkeitsgefühl wäre ein Vorhaben wie der
Grenzlauf, der in drei Wochen 729 Laufkilometer abverlangte und bei täglich
wechselndem Grenzübergang immer wieder neue Überraschungen und
Herausforderungen mit sich brachte, nicht möglich gewesen.
Die sechs Teilnehmer verband die Absicht, ein ganz
persönlichen Bekenntnis abzugeben zur Erweiterung der Europäischen Union nach
Osten. Natürlich spielte auch der Reiz, Landschaften und Leute kennenzulernen,
eine wichtige Rolle. Und schließlich war damit auch die sportliche
Herausforderung verbunden, eine solche Tour laufend, radfahrend und betreuend
zu bestehen.
Dabei sind wohl alle voll auf ihre Kosten gekommen, die
jeder zu tragen hatte. Es gab keine finanzierenden Sponsoren, alle Ausgaben von
der Übernachtung, über die Gastronomie, Verpflegung bis zum Benzin wurde von
allen zu gleichen Teilen getragen.
Besonders hervorzuheben ist dabei Walter, der als
betreuender Autofahrer zwar eine unersetzliche Rolle spielte in der Logistik
unseres Unternehmens, aber oft im Hintergrund des öffentlichen Interesses
agieren mußte. Walter hat das beste daraus gemacht, er suchte den Kontakt zu
Kindern und Erwachsenen dort, wo er gerade auf die anderen wartete. Er trug
damit wesentlich zur Verbreitung unserer Bekenntnisses zur erweiterten EU auf
beiden Seiten der Grenze bei.
Thomas hat möglicherweise mehr gesehen als die anderen. Er
hat auch links und rechts von unserem Weg die Gegend erkundet und im Foto
festgehalten. Als Fotograf hat er dem Team einen guten Dienst erwiesen mit
seinen Bildern, die mehr Atmosphäre ausstrahlen, als es den anderen Haltern von
Fotoapparaten in unserem Team gelang.
Mit Bravour hat sich Erika bei der Tour geschlagen. Für den zeitweise verletzungsbedingten Ausfall von Bodo als Läufer ist sie auf vielen Etappen in die Bresche gesprungen mit einer bewundernswerten Laufleistung. Gemeinsam mit Bodo hat sie die Strecke auf dem Rad und im Laufschritt gemeistert.
Bodo hat sich mit seinen Verletzungsproblemen wacker
geschlagen. Eine solche Herausforderung, wie sie der Grenzlauf nun einmal war,
weiter im Kopf zu behalten, wiegt schwerer als die Anzahl absolvierter
Laufkilometer.
Für Ingrid war es die erste große Tour auf dem
Fahrradsattel. Die anfängliche Ungewißheit, ob Kondition und Sitzvermögen
ausreichen, erwies sich als unbegründet. Sie und Erika bzw. Bodo waren treue
und ständige Begleiter der Läufer, bis ihnen die Anstiege im Erzgebirge
zeitweise einen Strich durch die Rechnung machten.
Dieter schließlich ist dreifach froh: die Vorbereitung hat
im wesentlichen Früchte getragen, die Strecke wurde laufend bewältigt und mit
beiden Grenzläufen die gesamte Landgrenze der ehemaligen DDR gelaufen.
Der Grenzlauf 2004 „Willkommen in der Europäischen Union“
war für alle Team-Teilnehmer und für viele Menschen an der Strecke ein
Ereignis, von dem sie lange zehren werden.
I m p r e s s u m
Wir danken allen Journalisten, die mit ihren Berichten für öffentliches Echo sorgten. Wir haben die Presseartikel, die uns zur Verfügung standen kommentarlos in die Dokumentation aufgenommen, auch dann, wenn Kreativität einiger Berichterstatter hin und wieder aus Wahrheit Dichtung machten.
Über unsere eigenen Streckenfotos hinaus standen uns für die
Dokumentation Fotos von Lauffreunden, Fanclub - Mitgliedern und Journalisten
zur Verfügung. Dafür bedanken wir uns besonders bei Ingrid / Horst
Schwarz-Linek (Schwerin), Adelheid Abjörnson
/ Walter Maiwald (Berlin), Marion / Thomas Hahn (Celle), Willi Magnus
(Schwedt), Klaus Müller (BGS), Jens Boehme (Zittau).
Streckennotizen von Bodo Pfeuffer, Walter Kagelmann und
Dietrich Barthel bildeten die Grundlage für den Streckenbericht von Dietrich
Barthel, der auch diese Dokumentation zusammenstellte.